PIKTOGRAMM

Hans F. Krebs


Das ausgewählte Zeichen wird erst wirken, wenn es den Menschen sinnvoll erklärt wird. Das Bewußtsein ist auszufalten, daß wir alle unseren persönlichen Beitrag zur Belastung der Natur leisten. Wir sind nicht frei von Schuld. Der Mensch ist ein Teil der Schöpfung. Vom Tier ist der Mensch durch seine Sprache und durch sein Wissen von seinem Sterben unterschieden. Mensch und Tier brauchen den Kontext zur Pflanzenwelt. Nichts ist selbstverständlich. Das Zeichen kann diesen Sachverhalt verdeutlichen. Verletzungen von Gewißheiten sind unvermeidlich. Für uns Menschen gibt es keinen Fortschritt; wir können uns verändern, wir können uns wandeln, wir haben ein Bewußtsein. Das Gut, das wir zu schützen haben, ist das Leben vor der dem Horizont des Kommens und Gehens. Die Ethik, die wir zu denken und nach der wir zu handeln haben, hat die Entwicklung, Förderung und Erhaltung von Leben in den existentiellen Mittelpunkt zu stellen. Diese Schwerstarbeit ist eindringlich von Erich Fromm beschrieben worden. Sisyphos ist nicht nur unser Vorbild, Sisyphos ist unser Verbündeter.

 

Ich bin natürlich nach der Absicht gefragt worden, was der Hessische Minister für Landwirtschaft, Forsten und Naturschutz mit der Veranstaltung des Design-Wettbewerbes im Schilde führt? Weltweit operierende Getränkehersteller und Zigarettenproduzenten, die in ganz Europa fertigen, veranstalten Wettbewerbe. Ich empfinde es als einen Wandel, wenn Unternehmen beginnen über den Produktions- und Profithorizont hinauszudenken. In der Fachpresse ist zu diesem Wandel manches zu lesen, das ich in der Realität vergeblich suche. Neu ist das nicht. Mäzene haben ein Recht darauf, daß ihre Namen genannt werden. Schauen Sie in die USA! Dort hat sich in über hundert Jahren eine regelrechte Stiftungskultur entwickelt und etabliert. Dem Auslober eines Wettbewerbes unterstelle ich grundsätzlich gute und ehrliche Absichten; ich bin auch noch nie getäuscht worden.

Erstens:
Viele Einsender haben unsere Titelzeile WALDSCHADEN nicht bewußt gelesen. Im Unterbewußtsein, das etwas anderes ist, als das Unbewußte, wurde WALDSTERBEN gelesen. Karfreitagskreuz, Friedhofskreuz und Totenkopf, also Signets, die das Sterben anzeigen, bestimmen viele Entwürfe. Bei den Baumarten war es der Nadelbaum, der als besonders gefährdet erfahren und erlebt wurde. Die größere Gefahr, in der der Laubbaum schwebt, wird nur gemindert wahrgenommen. Das WALDSTERBEN ist emotional festverankert, gerade bei Menschen, die eine bewußte ökologische Beziehung, die die Naturwelt und Kulturwelt einschließt, suchen. Ich verweise auf die Gefahr, die kaum wahrgenommen wird, daß Emotionalität Vor-Urteile stabilisiert. Das kann gelegentlich so gewaltig sein, daß Vor-Urteile unkorrigierbar werden. Das ist deshalb problematisch, weil wir dadurch  mit einer unteroptimalen Rationalität konfrontiert sind. Im Spannungsfeld, der von Emotionalität gesteuerten Vor-Urteile und sachbezogener Analyse und Aufklärung, die in Befund, Diagnose und Therapie gründen, siedeln Konflikte. Wir wissen alle, auf welche verwerfliche Weise sich diese Art von Konflikten entladen können. Aggression und Haß, Verführbarkeit zur Gewaltanwendung und die Folge, auf sich selbst erteilten und fremden Befehlen kritiklos zu hören, können dann nicht mehr sinnvoll kanalisiert werden. Explosionen sind die Folge. Letztens wurden zwei Polizeibeamte ermordet. Wir müssen mit Worten, Begriffen und Slogans präzise lesen. Wir müssen uns auch um eine Form des Verstehens bemühen, das im Seelischen zuhause ist. Die Verwechslung der Titelzeile WALDSCHADEN mit dem Unterbewußsein aufgestiegenem Deckbegriff WALDSTERBEN ist bedenklich.

Zweitens:
Wir unterscheiden zwischen Naturzeichen und Kulturzeichen. Kultur ist Menschenwerk. Wirtschaftliches Handeln ist Teil der Kultur. Bild-, Wort-, Zahlen-, Waren- und Firmenzeichen sind Kulturschöpfungen. Diese Zeichen repräsentieren einen kleinen Teil des Zeichenvorrates, über den wir verfügen können, wenn wir uns konkretes Wissen zum Begriff Zeichen verschaffen. Die Höhe der Rauchfahne, die die Ruhe oder die Unruhe des Vulkans anzeigt ist ein Zeichen der Natur; das zu realer Erfahrung werden kann, wenn der Vulkan sich touristisch verhält oder wenn er explodiert. Die Dicke der Rauchfahne kann gering oder gewaltig sein. Die Verhältnismäßigkeit des Zeichens zur Tätigkeit des Vulkans bestimmt das Maß der Beurteilung.

Drittens:
Sind Zeichen und Symbol voneinander abgrenzbar? Die positive oder negative Wertbesetzung des Symbols beruht auf der Vereinbarung ihrer Benutzer. Das Symbol des christlichen Kreuzes setzt voraus, daß das Geschehen, an das der Karfeiertag erinnert, als wahr geglaubt wird. Das Kennzeichnende eines Zeichens ist der Bezug zu einem Objekt, deshalb gehört auch das Symbol zu den Zeichen. Das Symbol ist Sinnbild. Zu den Zeichen gehören aber auch das Ikon und der Index. Ein Ikon ist ein Abbild, das sichtbar abgebildet und entfaltet wird durch Photographie. Der Index dagegen dient der Orientierung; dazu rechnen wir Verkehrszeichen, Wegweiser und Piktogramme. Der Semiotikbegriff Index hat mit Indexziffer und Indexzahl nur den Klang gemeinsam. Gesichert muß sein, die Beziehung des Zeichens zu seinem Objekt. Diese Beziehung darf konkret, präzise und bei vielen Symbolen ambivalent sein. Der Fachbegriff, der das Verhältnis untersucht zwischen Zeichen und Bezeichnetem, heißt Sigmatik.

Viertens:
Die Totalität der Vokabeln Kode, Signifikat, Sigifikant, Signal, Zeichen, Zeichensystem, Symbol und Piktogramm knautschen die Sprache. Was ist gemeint und was wird gemeint? Den aufgezählten Begriffen ist gemeinsam, daß sie schriftlos sind. Diese Begriffe sind Kennzeichnungen für visuelle Erfindungen. Die Wissenschaft, die sich mit der Erhellung und Lüftung dieser visuellen Erfindungen beschäftigt, heißt Semiotik. Wenn schriftloses wahrgenommen wird, ist es zwangsläufig bildhaft. Im Ursprung gehören Mündlichkeit und Bildlichkeit zusammen; diese Legierung ist analphabetisch. Wenn ein Piktogramm mündlich erklärt wrid, kann es verstanden werden. Pfeil und Bogen waren Munition und Waffe. Nach dem der Pfeil von optimaler wirkenden Munitionen abgelöst wurde, blieb er als Piktogramm, das Richtungen und Wege weist. Der Pfeil übernahm Zeigerfunktionen bei Uhren. Der Pfeil ist der Teil der Zeitanzeige. Offensichtlich ist das Analaphabetische, das das Bildhafte trägt an die Mündigkeit gebunden oder dem Analphabetischen genügt die Mündlichkeit. Annäherung und Verstehen des Bildhaften bedarf allerdings der Schriftlichkeit. Wir verfügen dann über ein gutes Maß, wenn sich das Alphabetische und das Analphabetische in der Waagerechten halten.

Fünftens:
Ein Zeichen für sich und an sich, wird nichts verändern. Ein Zeichen kann noch so optimal formal und farblich gestaltet sein, es wird nutzlos sein, wenn es ohne Aussage ist. Aussagen werden von verschiedenen Personen verschieden verstanden, eingeschätzt, gewertet und gewogen. Der Zeichenentwurf zwingt zu radikaler Einfachheit, ja, Zeichen dürfen ein wenig trival auftreten. Auch einfachen Gemütern soll das Zeichen zugänglich sein. Die Aussage des Zeichens hat einen Appell an die Emotionalität zu richten, sonst verhallt die Botschaft; das Zeichen bliebe wirklungslos. Es ist bedenkenswert, Zeichen, die ignoriert werden, werden ja zuerst wahrgenommen, sonst könnten sich nachher nicht ignoriert werden. Ein Zeichen, das auf WALDSCHÄDEN hinweist, kann nichts anderes sein, als etwas Verschlüsseltes. Das Signal der Botschaft wird gleichsam zum Schlüssel. Mit diesem Schlüssel wird das Schloß erschlossen. Schlösser und Schlüssel überall und allenthalben, wir müssen sie finden und ausprobieren lernen.


Prof. Dipl.-Des. Hans F. Krebs, Dezember 1987
 
 

 

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