Monotype - Typografie
Editorial Hans F. Krebs
Konkrete, typografisch handelnde Menschen werden von DP (Desktop Publishing) herausgefordert. Fachliches wird von Laienhaftem massiv bedroht. Typografie ist in Gefahr, zum Hobby zu verkommen, wenn die Computerhersteller recht behalten sollten. Ich höre den Hinweis auf das Selbstverständliche. Gleichzeitig erinnere ich mich an einen Satz von Vladimir Nabokov aus einem Aufsatz (deutsch 1984) zu F.M. Dostojewski: "Ich behaupte jetzt, daß der wahre Künstler die Person ist, die nie etwas als selbstverständlich voraussetzt." DP ist ein technisches, ein wirtschaftliches und ein ästhetisches Phänomen. Diese drei Disziplinen sind streng auseinanderzuhalten; sie stehen nicht nur gelegentlich miteinander im Streit. DP wird einen Beitrag zur Typografiekultur leisten. Pathogene Ab-Bildungen hat es zu allen Zeiten gegeben, deshalb dürfen die PC-Hersteller pubertär argumentieren. "Mit DP können Sie oder Ihre Sekretärin perfekt gestalten und ebenso perfekt drucken", steht in einer Anzeig von Apple Computer, die am 20. Februar 1987 in der F.A.Z. (Frankfurter Allgemeinen Zeitung) abgedruckt war. Dieser Satz macht Symptome von Größen- und Allmachtswahn sichtbar. Menschen für dumm zu verkaufen, ist unsittlich. Sich unsittlich zu verhalten, ist in einer offenen Gesellschaft erlaubt, Aufklärung und Abwehr kann organisiert werden.
Erkenntnis und Interesse sind der Urgrund des Fragens, Handeln ist der Versuch, auf Fragen Antworten zu geben. Die Antworten können die Gestalt von Theorie- oder Praxismodellen haben. Wenn es glückt, kann die Verbindung von Interesse, Erkenntnis und Handeln zu einer Art von Einheit werden. Diese Einschränkung ist angezeigt, da es vollkommen ausgeleuchtet, Interesse, Erkenntnis und Handeln nur in der Phantasie, nicht jedoch im konkreten Leben gibt.
Text- und Bildschöpfer können ihre verantwortungsvolle Arbeit nur dann ethisch gesichert leisten, wenn sie den ständigen, auf sich selbst gerichteten Bildungsauftrag erfüllen. Lernen und Studieren endet mit dem Verlöschen des Bewußtseins, keinen Augenblick früher. Menschen, die aus zweiter Hand leben, verwechseln Zielbestimmung mit dem Ziel, sie nutzen das Phänomen der Lebenslüge, um davon überzeugt sein zu können, nicht mehr lernen, nicht mehr studieren zu müssen.
DP veranlaßt, über die Verschiedenartigkeit von Ausbildung und Bildung zu diskutieren. Manfred Klein veröffentlicht seit über einem Jahr monatlich einen typografischen Beitrag im Druckspiegel. Unsere Aufgabe ist es, interesse-, erkenntnis- und handlungsleitende Inhalte und Formen im Gespräch, in der Diskussion, auf dem Papier in Gestalt des Layouts und möglicherweise im Streit zu denken und und zu entwickeln. Wir haben uns mit dem Allgemeinen zu beschäftigen, das Spezielle ist nicht vorhersehbar: jede Aufgabe, die Lebens- und Layoutpraxis stellt, wird anders sein. Die Konstanten und die Variablen der Typografie sollen legiert werden. Adressaten sind immer Leserinnen und Leser. Für diese Adressaten haben wir verantwortlich in einer Gemeinschaft von Menschen zu wirken. Gestalterische Selbstbefriedigung ist ein Signal psychischer Unreife; Narzißmus schlummert im Menschen.
Herman Hesse: "Echte Bildung ist nicht Bildung zu irgendeinem Zwecke, sondern sie hat, wie jedes Streben nach Vollkommenen, ihren Sinn in sich selbst. So wie das Streben nach körperlicher Kraft, Gewandtheit und Schönheit nicht irgendeinen Endzweck hat, etwa den, uns reich, berühmt und mächtig zu machen, sondern seinen Lohn in sich selbst trägt, indem es unser Lebensgefühl und unser Selbstvertrauen steigert, indem es uns froher und glücklicher macht und uns ein höheres Gefühl von Sicherheit und Gesundheit gibt, ebenso ist auch das Streben nach Bildung, das heißt nach geistiger und seelischer Vervollkommung, nicht nur ein mühsamer Weg zu irgendwelchen begrenzten Zielen, sondern ein beglückendes und stärkendes Erweitern unseres Bewußtseins, eine Bereicherung unserer Lebens- und Glücksmöglichkeiten. Darum ist echte Bildung, ebenso wie echte Körperkultur, Erfüllung und Antrieb zugleich, ist überall am Ziele und bleibt doch nirgends rasten, ist Unterwegssein im Unendlichen, ein Mitschwingen im Universum, ein Mitleben im Zeitlosen. Ihr Ziel ist nicht Steigerung einzelner Fähigkeiten und Leistungen, sondern sie hilft uns, unserem Leben Sinn zu geben, die Vergangenheit zu deuten, der Zukunft in furchtloser Bereitschaft offenzustehen."
Montags ohne Spiegel, das wäre für mich ein unoptimaler Wochenbeginn. Für mich ist das Spiegel-Gespräch, das in jedem Heft abgedruckt ist, eine wertvolle Information. Heute am 7. September 1987, enthält der Spiegel das Gespräch, das die Journalisten Michael Schmidt-Klingenberg und Peter Bölke in Frankfurt am Mai mit John Sculley, Chef von Apple-Computer, geführt haben. Er sagt von sich: "Ich möchte Kathedralen bauen." John Sculley ist studierter Architekt und Wirtschaftswissenschaftler. Er glaubt: "daß etwas so Einfaches wie ein Personalcomputer (PC) die Welt verändern kann." Zweifellos - er hat recht. Was letztendlich mit Personalcomputern geschieht, mit welchen Zielvorgaben gearbeitet wird, ist ohne Ethik nicht mehr zu denken und nicht mehr zu planen, Typografie hat bisher drei Dimensionen: eine ästhetische, eine technische und eine ökonomische. Ethik wird die Klammer sein, die die Dimensionen bindet. Typografie ist Vollzug mit einem Ziel, mit Nutzenabwägung und Absicht.
Die Typografie ist herausgefordert. Diese Herausforderung ist anzunehmen. Typografie-Theorien sind zu entwickeln. Theorien haben sich der Falsifikation zu stellen. Allerdings ist der Siedlungsort von Typografie noch zu bestimmen. Das Studium der Bücher von Karl R. Popper, Oswald von Nell-Breuning und Rupert Lay ist unabdingbar. Typografie muß sich in Frage stellen, um sich neue Fragen stellen zu können. Die Praxis, die Kreativität und das Künstlerische sind von Mythen, die diese Begriffe decken, zu entkleiden. Sich der Typografie als Künstler zu nähern, um Typografie in Kunstgebrauch umzubiegen, ist genauso verhängnisvoll, wie in der Typografie nur das Handwerkliche, das Technische oder das Ästhetische zu sehen. Typografie hat ihren eigenen Kanon.
Frankfurt am Main, 7. September 1987
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