ERSTICKTE GEGENLIEBE

Igor Pomerantsev

 Erstickte Gegenliebe

 

Er sieht im Spiegel,
wie sie sich anzieht.
Danke, Strumpfhosen –
langsam, gelenkig.
Er ist glücklich:
der Prozess des Anziehens
bekräftigt mittelbar,
dass sie vor fünf Minuten
noch ausgezogen war.
Es ist Zeit.
„Treffen wir uns um sechs”,
sagt er,
„da, wo früher die Gestapo war.”


Warum hat sie ihren Mann betrogen?
Sie hat sich scheiden lassen und dann
den betrogen,
mit dem sie zuvor ihren Mann betrogen hatte?
Warum hat sie ein Kind
von Einem erwartet,
mit dem sie nicht leben wollte,
und der sie am helllichten Tag mitten auf der Straße
ins Gesicht geschlagen hat?
Warum ist es ihr leicht gefallen,
mit einem Anderen zu schlafen,
und danach ebenso leicht,
diese Verbindung wieder zu lösen?
Warum hat sie mit Einem gelebt,
neben dem
er schon nach zwei Minuten gähnen würde?
Warum liebt er sie,
aber nicht ihr Leben?
Warum passt sie nicht
in sein Leben,
und wenn sie doch hineinpasst,
bedeutet das dann, dass
er rein gar nichts kapiert?
Warum traut er sich nicht,
diese Fragen zu stellen,
die in seinem Hirn gären
so heftig, dass in seiner Gegenwart
besonders empfindsame Menschen schüchtern fragen,
was an ihr ihn so berauscht hat?


Er berührt mit der Hand
sein Gesicht, die Lippen.
Nein, das geht ja gar nicht.
Spuren solcher Küsse
findet man nur in Ivan Bunins
„Dunkle Alleen”.



Sagen Sie doch so was nicht,
Peter ist trotz allem
ein Gentleman:
am nächsten Tag
schickte er Ihnen Blumen.
Doch der da, der Deutsche, der grobe Klotz,
Klaus, nicht wahr?
Ach, den haben Sie im Kurs
über Okkulte Medizin kennengelernt,
Sie haben ihn sogar mit nach Hause genommen,
sich eingeredet,
er sei witzig und kein grober Klotz,
doch er –
klar, es ging um Sex,
aber man hätte doch ein Wörtchen
von Liebe, – nein, er sagte Ihnen frank und frei:
„Gern besorge ich es Ihnen regelmäßig.”
Aber was haben Sie denn?
Liebes Kind, hier, ein Glas Wasser,
trinken Sie,
aber Peter ist trotz allem
ein Gentleman, ja:
vor ihm ziehe ich meinen Hut.


Ihr Ruf, ein Leckermaul zu sein,
genauer, ein Nimmersatt,
schlichtweg ein Vielfraß,
bestätigte sich.
Ihm kam das gelegen.
Er verstand, das wurde auch Zeit,
wie sie halten:
Immer gut schmecken.
Hatte sie etwa
nicht geschmatzt,
als sie
das letzte Bisschen
seiner Lippe
verschlang?



Sie sagt,
sie liebe Hotels und Restaurants.
Soll sie das einem anderen sagen.
Er kennt das,
er hatte schon mal so eine.
Die liebte auch
Hotels und Restaurants.
Alles liebte sie,
wenn sie nur nicht
mit ihm sein musste,
zu zweit allein,
egal wohin,
wenn es nur unter Leute ging,
wenn sie nur nicht hören musste
auf seine Augen,
seine Hände.



Wissen Sie,
mich interessiert
die Liebe als Stoff,
die Empfindlichkeit dieses, ihres Stoffs.
Es gibt Etiketten in Kleidungsstücken:
Nur Handwäsche
oder
Bügeln nur bis 40º.
Ja, Bügeln nur mit der Hand,
aber Hitze vermeiden, stärker noch,
auf keinen Fall zum Glühen bringen.
Nein, in der Tat,
Sie interessieren mich nicht,
obwohl Sie mich erregen.
Der Stoff hingegen, der Stoff...



„Man liest Ihre Gedichte,
man liest sie und könnte meinen, ich sei – eine Nutte”,
sagt sie.
„Meine Liebe”, antwortet er,
„in der Poesie ist die Temperatur erhöht,
ist der Puls beschleunigt,
also stellen Sie sich
doch mal vor,
dass man Peter
wieder aus Hamburg in Ihr Büro bestellt,
und dann lesen Sie noch mal:
Unter einem Dach nicht hoch,
in einem Gang nicht breit,
waren es wenigstens drei,
und das ist untertrieben,
die mit Ihnen geschlafen hatten.
Und, was sagen Sie dazu?”



Dennoch
manche Nächte
waren viel zärtlicher
als die übrigen.
Vor allem jene dort,
besser gesagt, ihre eine Hälfte,
scharf und kurz,
am Rande
von München.



Der Arzt fragt,
was ihren Freund quält.
Sie antwortet:
„Die Vielzahl der Männer in meinem bisherigen Leben,
jedenfalls kommt es ihm so vor, als seien es viele gewesen.”
Der Arzt sagt:
„Tja, was soll ich Ihnen da raten... Erwähnen Sie so selten wie möglich
Männernamen, egal welche. Und,
wenn er Sie umarmt... das kommt vor?”
„Ja, ja.”
„Na bitte, dann versuchen Sie
ihn für die Dauer der Umarmung
„Einzigster”,„Unersetzlicher” zu nennen.”

 


Gedichte von Igor Pomerantsev
übersetzt von Beatrix Kersten
im Auftrag von Meridian Czernowitz

 

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