Claus Löser
Im Sommer 2015 für das Literaturfestival Meridian Czernowitz vermittelt durch Peter Zach und Jana Cisar der erste schriftliche Kontakt mit dem Autor, Fachjournalisten, Filmhistoriker und Kurator Claus Löser.
2021 kreuzen sich unsere Mails betreffend Bohumil Hrabal.
Im Jänner 2022, die vierte Covid-Welle "Omikron" verlegt Kulturveranstaltungen wieder Mal auf die digitale Schiene, finde ich im Postfach drei Gedichte von Claus Löser: sie lichten graue Januar-Tage und bergen Hoffnung fürs heller werden.
Ende Februar, seit 22.2.2022 wird die gesamte Ukraine durch Putin angegriffen. Das Gedicht "Fluch" von Claus Löser fand den Weg auf den Zeitzug am 28.2.2022.
Nach einer Reise nach Litauen im Juni 2022 langte "An die Memel" ein. Vor Abreise nach Tscherniwizi treffen "Nachtfahrt II", "Nicht einfach" ein.
Die Anreise in die Bukowina zum MERIDIAN CZERNOWITZ XXIII, die Stimmung in der Stadt, die Lesungen und Gespräche spiegeln sich wider im Bericht von Claus Löser, bebildert von Jakobine Motz, in der Wochenendausgabe 17. und 18. September der Berliner Zeitung. Das Gedicht "Herbstliche Reise" erzählt von den Waldkarpaten, der Bukowina. "Windung um Windung" reflektiert eine Reise mit dem Auto in Tschechien (Jindřichův Hradec) und die Südsteiermark bis nach Slowenien
9. September 2022 Milena Findeis
Windung um Windung
Die Hitze verbiss sich im Nacken
der keineswegs blauen Donau bei Grein
der fast schon vergessene
Traum aus Neuhaus
flog mir vom Kopf
stob von böhmischer Nacht
Windung um Windung
den schlammbraunen Ufern zu
samt Fähren, Föhren und Fahnen.
Windung um Windung stromabwärts
lief ich ihm nach Richtung Ister
verlor die Geduld verließ seinen Lauf
bog ab nach Süden zur Ybbs
traurige Weiher am Rand
mit einem flüchtigen Blick hin zur Enns
kehrte das Bild jener Hochzeit zurück
die auf dem Marktplatz handhöhlenweis
hingestreut leuchtenden Flecken
aus Rosenblättern und Gold
die blitzenden Zähne der Braut
der dämmernde Tanzbär am Strick
dann sein zögernder Schritt
auf den Boden aus Glut.
Windung um Windung zum Meer
lief ich dem Bild hinterher
hechelnd nach Schlaf
behütet von einer Membran
zwischen mir und dem Traum
die Fontanelle aus Eis
berstend am Bug dieser Flucht
das Delta, das Schilf und die Gischt
und die Schlangeninsel in Sicht.
Juli, 2023
Herbstliche Reise
Wir fuhren am launischen Ufer der Waag
und sprachen von den Skorpionen
unser Ziel lag im Rücken
Herkünfte flogen uns zu
unser Weg tat sich auf
Windung um Windung
glänzend als hingeworfene Haut
flankiert von Fragen, Farnen und Farben.
Vor allem von Farben
in den Gläsern und Flaschen der Händler am Rand
schwamm der Mond schon im Honig
in den Pilzen schliefen die Fliegen
Mündung um Mündung flohen wir hin
hin zum Krieg und tranken am Abend
noch die golddunkle Sonne aus Jasch.
Und fuhren nach Norden und ließen zurück
den Theiß, die Bistritz, auch den Sereth
und fuhren direkt zu den Hängen am Pruth
schwarz vom Basalt spiegelglatt von den Tränen
aus allen Strömen, Flüssen und Bächen
schöpften wir Worte, lachten fort die Skorpione
und kehrten zurück zu den Quellen in uns.
Oktober 2022
Nachtfahrt II
Vorüber an den verriegelten Mündern
den Fassaden im Herbst hin
zu den Schächten der Nacht
umspült von Fetzen aus
aufgegebenen Sätzen.
Weißt
du
noch
als...
So stammelt der kindische Wind
und feilscht um Interpunktion.
Zuletzt atmen die Gassen
tief ein werfen von sich
die bildschwere Last
seufzen schauern erteilen
schweigend Absolution
heben dann ab stieben auf
und davon in das
dämmernde Blau
deines Zauderns.
Juli 2022
Die Tage, Wochen, Monate entfliehen ins Offene; man kommt nicht hinterher. Kaum hebt man den Blick wieder von den Fußspitzen zum Horizont, hat sich die Szene gewechselt. Eben lag noch Schnee auf den Krumen, schon sengt die Sonne auf das summende Feld. Der Krieg schiebt sich als Folie über die Zyklen. Inzwischen ist er nicht mehr eine den Himmel zerreißende Detonation, sondern ein Grundrauschen, das sich über alles legt. Sieht so die Gewöhnung aus?
3.7.2022, Claus Löser, Notiz
An die Memel*
Fünfnamiger Fluss
über dein Flimmern wirft
der Kuckuck den Ruf
von Ufer zu Ufer
und sprachgrenzenlos
schlägt der Sommer sein Rad
kennt kein Kyrillisch
zählt keine Jahre
unterm fünfzackigen Stern.
Fünfarmige Linde
trotzt dem Wind
hält den Sand
mit den Zehen
streut ihren Duft zwischen
die Arme des Deltas.
Zerbrechlicher Atem er
liegt auf den Brauen der Tiere
auf den Wiesen der Täler
dies und jenseits des Stroms
hält zusammen die Welt.
Johannistag 2022
* Der Name „Memel“ leitet sich eventuell vom Kurisch-Litauischen ab: memelis, mimelis (stiller, langsamer, schweigender) litauisch mēms (stumm, sprachlos). Die Memel, auch Njemen, (litauisch Nemunas) belarussisch Нёман Njoman, russisch Неман Neman, polnisch Niemen) ist ein 937 km langer Strom der von Belarus über Litauen in das Kurische Haff und die Ostsee fließt. In einem Abschnitt markiert sie die litauische Grenze zu Belarus, am Unterlauf die Grenze zur russischen Oblast Kaliningrad. Wikipedia
Nicht einfach
Es ist nicht einfach
des Morgens mit
der Stirn an der Scheibe
dem Nebel zu weichen
der aus den Sätzen steigt
um dann ein paar Silben
festzuhalten die vagen
Zeichen einzuschließen
im sich auflösenden Atem.
Und dies mit dem Blick
auf den Hof mit der
sich wehrenden Linde
umstanden von leeren
Garagen und den Verschlägen
berstend voll von
nicht stattgefundener Kindheit.
Nein einfach ist es nicht
alldem zu entkommen
den wortbrüchigen Hinterlassenschaften
unter den Dielen hinter den Giebeln
in den Schatullen nur
eine Feder die Garbe aus Haar
und eine silberne Münze
bargeschliffenes Antlitz des Herrschers
ausgelöscht wie ein Volk.
Mai 2022
Fluch
Du kommst aus dem Nichts
nur das Nichts lebt in dir
und das Nichts wuchert
und weiß jenseits von
deinen schmalen Grenzen
nicht dass du tot bist
und immer schon warst.
Armer Mensch
kleiner Mensch
übergroße Metapher
aller Winzigkeit
in die du eingehst
aus der du kommst.
Nur das Nichts ist
dein Heim selbst das Mitleid
darüber bleibt ohne Krume
zu pflanzen die Saat.
Und nun hinweg mit dir
der Weg deines Namens
endet im Staub
und nun hinweg mit dir
Tölpel der du bist
möge die Spur
rasch verwehen
jede weitere Zeile
wäre zu viel selbst
der allerletzte Punkt
sei dir missgönnt
Claus Löser, aus Berlin, notiert am 25.2.22
Elbe bei Nymburk
Der Turm hat seine blaue Haube
aufgegeben und das verlorene
Gässchen bleibt verschwunden
verloren wie die Elbe die
doch immerhin noch
unverdrossen Richtung
Hamburg schwimmt.
Der Norden aber lauert kühl
verschlingt bei Melnik
Tag um Tag die Moldau.
Brno August 2021
Sitze und blicke auf die
Stadt der Dichter
neben mir aus Stahl er schweigt
gleich mir der Tod
steht Kopf die Kindheit
schwingt das Land
versinkt am Rand des Tags
die Stille bleibt uns treu.
Abend über der Elbe
Abend über der Elbe
als die Enkel der Scherenschleifer
am leeren Sockel des Gottwald-Denkmals
vorüber torkelten als Hrabals
Katzenschatten im Abendrot
versank und ein Oktett
dazu an seinen Saiten zupfte.
Alle sympathischen Rotgesichter
trugen das Siegel der versinkenden Sonne
gleich mir der ich da saß am Rande
auch die Bratschistin
gerade sie die Bratschistin
mit ihren merkwürdig
verschleppten Kadenzen
versank im Rausch dieses späten Sommers.
Auch ich passierte das Wehr
neben den summenden Spulen des Kraftwerks
auch ich trank das Bier mit dem
Porträt des Dichters
und bat nicht um Vergebung.
25. August 2021