Buchpatenschaften & Europa Erlesen

©Lojze Wieser
März 2013

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Seit fünfundzwanzig Jahren baut der Wieser Verlag Brücken zwischen den europäischen Ländern. Rund eintausend Titel sind in dieser Zeit im Verlag erschienen, über eine Million Bücher haben wir gedruckt – davon viele zum ersten Mal in deutscher Sprache. Das Wichtigste bei unserer Arbeit war immer, Grenzen zu überwinden: politische Grenzen, aber auch jene im Kopf. Diesem Grundsatz wollen wir auch in den kommenden Jahren und Jahrzehnten treu bleiben.  

Der Weg zur Erzählbarkeit zur eigenen Welt in der von Herder gewünschten Form ist heute, mehr als 200 Jahren danach, noch immer eine Herausforderung. Mehr denn jeh, wenn man sich die Ereignisse in der Krise, die eine kulturelle ist und schon längst nicht mehr eine Finanzkrise, vor Augen führt. Und doch haben wir in den Literaturen alle Erfahrungen komprimiert, die den Menschen die Möglichkeit bieten, sich und den Anderen, das Gegenüber und in ihm sich selbst zu finden.  Zeigt uns nicht immer wieder die Literatur, wie wir uns danach sehnen, endlich gehört, endlich zur Kenntnis genommen und gelesen zu werden? 

 

Mit der Reihe "Europa Erlesen" haben wir uns auf die Suche gemacht, diesem Sehnen nahe zu kommen, mit den kleinen Bänden dieser Edition möchten wir dazu beitragen, dass die Sicht der Dinge und die der Welt nicht eindimensional bleibt, sondern in ihrer Bildhaftigkeit, in ihrer Unterschiedlichkeit, in ihrer literarischen Vielstimmigkeit gesehen wird, dass sich die Bilder im Kopf entfalten und die Phantasie zum Leben erweckt wird. So können wir unserer Erfahrung nach, Wege finden, wie das alltäglich Reiben zwischen Zukunft und Vergangenheit, in der Annäherung an neue Bilder und an neue Begriffe eine glückliche Auflösung findet.  

Vielleicht gelingt es uns damit, vergleichend zu lesen und, wie bei einer archäologischen Ausgrabung, die Seele des Menschen, die innerste Seite seines Seins, mit unkonventionellen Schnitten finden. Und, wir würden möglicherweise sehen, wie viele Ähnlichkeiten in all den unterschiedlichen, in Worte gekleideten Bildern, zu finden sind und wir würden vielleicht eine Ahnung erhalten, wie solitär jedes dieser Wortbilder ist und uns einen Gewinn allein durch die  zeitverschobenen Betrachtung bereitet, jetzt und hier. 

 

Nehmen wir nur die Donau als Beispiel.

Die Donau, sagt man, ist die Hauptschlagader Europas. Wenn in  Europa 400 Kulturen in 49 Nationalstaaten leben, dann sind es alleine die Donau entlang in zehn Staaten über 35 Kulturen und Sprachen. Es leben in den knapp 50 Staaten also im Schnitt acht zu Minderheiten erklärte Menschen und in jeder größeren Stadt unserer Gegenden leben oft bis zu 70, 80 Kulturen und Sprachen miteinander. Also ist jeder von uns getragen vom Fluss des Lebens, mit festen Wurzeln im Hier und da und doch auch wie ein Floß, dass auf den Wellen des Flusses schwebt und von Ufer zu Ufer, von Region zu Region, von Stadt zu Stadt schwebt und mit Neuem bepackt wieder nahhause kehrt. Und dabei wird unser Zusammenleben heute durch die technische Revolution sogar erleichtert, da die Möglichkeiten der Kommunikation so weit vorangeschritten sind, dass wir heutzutage überall und jederzeit unsere eigene Sprache schreiben, reden und anwenden könnten. Wir haben Voraussetzungen  geschaffen, die den sprachlichen und kommunikativen Wirkungskreis jedes Einzelnen wesentlich erweitert.

 

Dabei können die Erfahrungen, die wir entlang der Donau – im Positivem wie im Negativem - mit dem Überleben der Sprachen gemacht haben, für den gesamten Kontinent bedeutsam sein, denn die ganze Lebendigkeit, die den Sprachen inhärent ist, stimmt einen positiv, wenn auch nicht immer fröhlich. Man muss der Sprache die Möglichkeit geben, sich ohne ideologischen Korsett zu entwickeln, mit ihr zu experimentieren und sie als musikalisches Phänomen oder als onomatopoetische Tonalität zu verstehen, ist doch die Sprache ein Reichtum, entstanden aus Jahrhunderte langen Einflüssen, durchsetzt von Lehn- und Fremdwörtern, und in der Literatur zeigt sich diese Vielfalt. Erst in den verschiedenen literarischen Formen wird dieser Reichtum bemerkbar, überrascht und überzeugt immer wieder aufs Neue. Kulturen sind das Salz der Gesellschaft und der Umgang mit ihnen zeigt: Wer nur von der einheimischen Kultur was versteht, der versteht auch von dieser nichts. Wenden wir die Sprachen um uns im öffentlichen Raum an und erwecken wir dadurch die Neugierde, nehmen wir ihnen den Fluch von ihren Schultern und befreien wir sie der Verdammnis, die ihnen oft angedichtet wird,  gerade heute, wo die Welt, stärker als in den Jahrzehnten zuvor, in Bewegung gekommen ist, weil Kriege, Hunger und Not auf unserem Kontinent wieder Einzug gehalten haben, und die Menschen dazu treiben, Brot und Kartoffeln zum Überleben zu suchen,  und sie zwingen sie, von dort weg zu gehen, wo sie für gewöhnlich ihr zuhause haben, auch, weil sie der unvorstellbare Reichtum Weniger so nicht mehr existieren lässt. Es ist die Sprache, das Lied und das Gedicht, die uns wärmen und Kraft geben!

 

Die Sprachen gleichen einem Fluss, haben in sich eine geheimnisvolle  Triebfeder, in ihnen lebt – laut Jurij Koch – etwas Mystisches, sie gibt dem Sprecher und der Leserin, sie gibt dem Sänger und dem Vor- und Nachbetern Elan, sich durch das Dickicht der Zeitläufte zu zwängen, sich mit den Gegebenheiten anzufreunden;  die Sprachen mögen still und leise dahinplätschern oder versickern, auf einmal sind sie wieder da, tauchen oft, an andrer Stelle als erwartet, auf und sind meist erfrischender, als zuvor. Alle nähren den Strom, ergießen sich in ihm und werden so zu einem großen Band, der den Kontinent nährt, ihn verbindet - der ihn auch trennt, ihn allemal zum Zusammenhalt zwingt, zumal in Zeiten, wo Unwetter uns das Fürchten lehren. Brücken, sagt der Nobelpreisträger Ivo Andri?, sind wichtiger als Vorratsräume. Davon kann die Donau viel erzählen und sie sagt uns auch Eines: dass Sprachen und Kulturen in Zukunft auch ohne nationalstaalichem Territorium das Überleben lernen werden. 

 

Im "Börsenblatt", dem Journal für Verlage und den Buchhandel in Deutschland steht dieser Tage folgender bemerkenswerter Absatz von Stefan Hauck:  

"Denn die finanziellen Nöte werden ja rasch zu kulturellen Nöten. Nach 1989 waren alle glücklich, dass sich die Räume zwischen Ost und West und in unserem Falle besonders zwischen Österreich, Slowenien, Kroatien, Ungarn etc. geöffnet haben. Inzwischen kapseln sich aber viele Länder und kulturelle Institutionen wieder ab, wollen lieber alleine als gemeinsam agieren, was uns das Verlegen hervorragender Literatur gerade im Hinblick auf Übersetzungsförderungen ziemlich schwer macht.

Es gibt die schöne Sentenz „Immer wenn du denkst, es geht nicht mehr, kommt von irgendwo ein kleines Lichtlein her“ ... Im vergangenen Jahr haben wir den Verlag nach fast 25 Jahren vor der Insolvenz finanziell noch einmal neu aufgestellt und in eine GmbH umgewandelt – vorher war der Verlag ein Einzelhandelsunternehmen, da lag alles auf meinen Schultern. Den Gesellschaftern ist es wichtig, dass unsere Art von Literatur, die nicht stromlinienförmig, nicht massenkompatibel ist, weitergeht, aber wir brauchen eben dazu eine dauerhafte ökonomische Basis."

 

 

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