Grenzstation

Baustellen, der darauf fokussierte Blick. Staub atmet mich. Darunter geschichtet Erinnerungen aus Atemnächten. Grenzstation. Milena Findeis

SeelensZug

Zug für Zug
mindert der alternde Körper
Funktionen
Schlägt erneut Kerben
für die Seele

erinnert sich der Kindertage
wo im sprachlosen Zustand
Seinsraum gewesen ist

der im Heranwachsen
von Wörtern und Tätigkeiten
mehr und mehr
eingenommen
festgeschrieben
worden ist

 

 

 

Zersplittert

Inmitten all der Scherben
aus der Ohnmacht erwacht
Augenblick
einer überhöhten Tonfrequenz
und alles zerbirst
Lawinengedonner
bei Tauwetter
Der Druck von
geballten Schneeflocken
walzt den Abhang hinunter
ähnlich dem Grollen
eines ausbrechenden Vulkans
dort das Eis
hier das Feuer
Gefühlsgewalt
lodernd, hinwegbrausend
Eruption
Liebe verwandelt in Haß
Funkensprühend
Infizierend
Ersteres ausgesprochen
Letzteres verborgen
elendig nah beinander

 

 

Herzscheide

Die durchlöcherte Herzscheidewand
Infiltriert von satten Oktoberfarben
Pochendes Schlagen
Entlang der altersmüden Gefässe

Reifes Gelb der
Trauben kaltgepresst
Rot fallendes Buchenblatt
Eingebettet in das Blau
eines aus der Tiefe
schauenden Kinderblickes

Krank und hoffend
Die vollbesetzte Untergrundbahn
hält an der Endstation "Skalka"
Aussteigen

 

 

 

 

 

 

Reisevorbereitung

Zuviel Gepäck
Wer soll all das tragen?
Die Notwendigkeit
dieser Reise
geplant / nicht geplant
sie ist anzutreten
Noch fehlt die
Zeit der Abreise
Zeit der Ankunft

Irgendwo ist es vermerkt
Wo?
In den Sternen?
In den Genen?
In einem Glaubensbekenntnis?
Vieles steht geschrieben
Berufen sind mitunter
ungeschriebene Gesetze

Vorbereitungen sind
zu treffen: jetzt
um nicht vor dem Ende
zu bemerken:
ES WAR NICHTS:

Der Schöpfung vertrauend
antwortet das Amen

im Leben
beim Sterben
Ohne Gepäck

 

Grenzstation

Czernowitz

Paul Celan
Ingeborg Bachmann

Verschlungen im Wortsinn
Brücken einer Verbindung
Ein Stück gemeinsame Erinnerung
kurz nach Ende des Krieges

Stumme Wand aus Verwundetsein
Er, der Sohn von Opfern
Sie, Tochter eines Vaters, der dem
Heer der Täter diente

Äußere Blessuren vernarben
innere Fronten versanken tief
Jede Mohnblume erweckt
das Ohnmachtsgefühl neu

Das Feuer hat sie in den Tod gezogen
nach seinem Ertrinken in der Seine
Festhalten läßt sich keine Schuld,
keine Liebe

Jedem gegeben
des Leben eigener Hauch

 

alt

Ferner Abschied

Für Brigitte Schwaiger, 27.07.2010

Eng aneinandergeschmiegt
atmen geflügelte Gedanken
Buchstaben-Silben-Wörter
bilden Stimmen nach
die von gestern herüberschwanden.

Abgedruckt
verschwindet der Text
überlesen, der darin verwurzelte Sinn
Kein Laut vertont den Aufschrei,
der Satz ufert lebensfern.
Sprache, nährende Nabelschnur
abgetrennt durch einen
scharfen Schnitt

 

alt

MückenKlang

Eingefangen von
den schmalen Armen
der felsigen Bucht
vibriert Abendklang
der Vögel

Dicht am Wasser
nah am Holz
des abgestorbenen Baumes
der Rattenschwanz

Auf warmen Kieseln
Schleimspuren von Schnecken
im Juni Dunst

Aus dick verwobenem
Algengrün
tauchen Plastikflaschen
und Bruchstücke

Über der bloßliegenden Haut
des verlassenen Geliebten
tanzen Mückenschwärme

 

alt

 

BegriffsGrenzen

Aus dem Inneren
heraus
scheiden Ideen
(un)bewußt

Nicht Wahrgenommenes
zeugt von der Macht
einer Finsternis
in die selten
ein Lichtstrahl fällt

Momentan schmerzt
die Erhellung
das Auge der Empfindung
Geblendet zerfällt
der Augapfel
wenn Licht konzentriert
einfällt in
das Äußere der
Regenbogenhaut

Unterschiedlich schwingende
Gedankenwellen
erschrecken Hunde
Zerfletschend verbeißen
sich Drohungen
hinein in das Bellen
Zerfleischt entblößt die
Ahnung
AM ENDE VOM ANFANG

Nichts das mehr verklärt
als die reine Logik
der Gefühle
die aus einer Stimmung
Faben blühen läßt

Die Weite
des offenen Ozean
aus unbekannten Tiefen
vermengt mit den
Psalmen untergegangener Jahrhunderte
eingebettet von Stimmen
im Wellenklang
eines berauschten Äthers

 

alt

 

GedankenGrenzen

Das Los
zwischen
den
Grenzen
von Fragen und
Antworten
die
Säumnisse
an Wegen

Der gewendete
Blick
erfaßt
das Gestern


Rückwärts
betrachtet
anders scheint als
gegengwärtig


Das
Morgen
Bruchstücke von
einem zaghaften
Heute

 

alt

 

Weiter

Weiter treiben und senden
den Dialog mit
einem sprechenden Bild
ohne klärenden Hintergrund

Verdichtend
eingefügte Wörter
geknüpft an das Empfinden
füllen den Raum
flächendeckend

Der beschreibende Blick
folgt dem Bellen
eines Hundes
in den Hinterhof

Unvermittelt endet eine
Gasse vor dem
stacheldrahtumwickelten Tor
des Gefängnisses
Dahinter weiß der
mauerdurchdringende Blick
den verlassenen Friedhof

Das Vergessen brütet
in der Mittagshitze
in ihr erstarben
alle Laute
In den Mauern erstarrt
alle Begrenzungen
die dem Leben abgeneigt
Totum pro parte

Ergrauter Gegensatz
am Grabstein
des toten Dichters

 

alt

Atem-Nacht

Nächtlicher Atem
Geräusche aus dem
unterbewußten Sein
Sequenzen aus Träumen
verknüpft mit
Totem

Verschoben die Grenzen
des Wahrnehmens
die Zeit aus den Fugen
des Raumes gerissen
röchelnder Schlaf

Ein Bündel Körper
kämpfend mit den
verrückten Empfindungen
die aus dem Inneren quellen
vom Äußeren abgestossen
in Zuckungen dem
Morgen entgegengrauen

 

alt

Urkunde

Geformt aus Buchstaben
Genormt nach Vorgaben
Auskunftspapiere

Notwendig für das Überschreiten
einer Grenze
einer Lebensstation

Geburtsurkunde
Staatsbürgerschaftsnachweis
Zeugnisse
Versicherungspolizzen
nebeneinander aufbewahrt
für die Stunde des Todes

 

Dem besitzenden Leben steht der loslassende Tod zur Seite.
Texte und Fotos ©Milena Findeis

 

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