milena-findeisTEXTE

©Milena Findeis


Eintreten

Sie sieht, nimmt  wahr. Die ausgebreiteten Arme, eine zärtliche Geste. Tritt zögernd näher. Ein Zittern. Keine alten Erinnerungen. Sie berauben die Gegenwart. Liebe ist,  wenn Sehnsucht nicht mehr schreit. Das nach innen geborgene Äußere aufbricht, langsam: von Sonne geschmolzenes Eis. Leichtigkeit des Tanzes, im Moment des Aufgefangenwerdens. Vorbei an der zaudernden Ängstlichkeit, geborgen im Rhythmus des Zueinanders. Der Augenblick selbst ist die Antwort. Die Befreiung von der Rolle: kein Opfer, kein Täter.  Erkenntnis, verstehen. Konzentriertes Wahrnehmen setzt  das Jetzt außerhalb von Zeit. Raum fühlt  die Wahrnehmung. Es verschwand in der Bewegung:  Distanz,  Trennung und alle Abschiede. Im Zimmer der Kranken: Innere Wandlung.  Voraussetzung, um aus den sich selbst spiegelnden Alltag hineinzutreten in das Wir.

TEXTE November 2006 ©

(Die gedruckte Fassung, längst vergriffen, Anmerkung im Jahre 2022)





Lichtferne Nächte
schattenbedeckt
-siv -siver  intens
schwärzt Angstfragment
Momentbewusstsein
vereinnahmter Sinn
Ganzes entbehrend
Rot-Schwarz erblasste
zu verhaltenen Strichen
die Hölle entleert
den Himmel
mit makellosen Bildern
überspanntes Ideal
kaufbaren Glücks



Vereinsamte Welt

fern aller Fronten
ein weinender Himmel
erhellt von Sonnen
Gefangene der Schatten
Sinnbilder magischer Welten
den Kindern nah
im Ursprung des Ganzen

alt

Winterweiß
gefrorenes
Sterbekleid
Es glänzt
unberührt
ein
Gedanke
Ewigkeit
 


DUO
Nah, nah
ineinander
Nacht
Zusammen
Haut geschichtet an Papier
Gleiten
entlang verborgener Linien
kraftvoll zart
achtsam, feuriger Bogen
zu Wärme
geschmolzenes Eis
 

 
Distel
Leer gelehrt
Felder am Rande
Wissen aus Büchern
kurz gestrengt
Denken in
den Tag hinein
Abbilder der
gespurten Wahrnehmung
an die Schule geheftete Aufgaben
sehende Erkenntnis
am Rücken der Sonne
Perspektive im Unten des Oben
in Abständen gerichtete Zeit
vorweg zurück
 


Einüben
Warum Glück an Bedingungen, äußere Umstände, andere Personen knüpfen? Wie oft ist Glück an nie genauer hinterfragte Erwartungshaltungen gekoppelt?
 
Aus dem Leid heraus gefragt "Wie schaut “Glück” aus?". Schmeckt es? Duftet es? Hat es eine helle Farbe oder einen  samtenen Klang? Ist es eine Melodie oder  ein Bild? Ist es ein Gefühl, ein Mensch, eine Erinnerung, eine Erwartung, eine Hoffnung?
 
Sie arbeitete auf etwas hin, setzte alle Energie dafür ein. Und im Zenit eines Erfolgserlebnisses stellte sich das schale Gefühl der Leere ein. Um es möglichst schnell zu überwinden, bedarf es eines neuen Zieles. Besser. Schneller. Höher. Darauf folgend ein tieferes Verlorenheitgsgefühl. Die Spirale dreht sich geschwinder. Kompensationsgeschäfte zwischen Geist und Körper um das Weinen der Seele zu verdrängen. In der Niederlage entzieht sich ihr jegliche Bodenhaftung; sie fällt in brodelnde Gefühlswelten. Liebesentzug. Verlustschmerz. Was verletzt? Nicht mehr geliebt zu werden? Sich in der eigenen Erwartungserhaltung getäuscht zu haben?
 
Loslassen. Alle Gedanken, Gefühle. So lange bis alles in erfüllter Weise leer ist. Ein Mensch, ein Lächeln, ein Sonnenstrahl, ein Stein, ein Regentropfen, ein Sternenhimmel verwandelt sich  zu einem Glücksmoment.
 


All_EIN

Der Körper
      getragen von Weite
der Geist
      gebettet in Struktur
die Seele
       gewoben aus Wasser
vergangener Schrei
zukunftssuchender Blick
Wahrgenommenes
unbesehen erfundener Wirklichkeiten
der Wörter und Gesten
IST 
    ein Himmel
    ein Meer
    ein Alles


 
Müdgeworden

vom Alltag
Rückzug in eine Höhle
Haut ausbreiten
zum Trocknen der
nach innen fließenden Tränen
schmerzende Wunden
heilen
es bleiben genug
schwankende Wünsche
zwischen
Erinnern
und
Vergessen
 

 
Bleierne Müdigkeit

verjagt den im
Kopf nistenden Vogel
aufbrechen zu neuen Ufern
wird verjährt
Grau-Verschlossenheit
belasten Momente
kostbaren Nichtstun
Opale schimmern unbesehen
in samttrunkenen Nächten
die zum Eintauchen gedacht
am Horizont dümpeln
Neonlichter strahlen gleißender
führen Nachtwanderer
hinein ins Grelle
verschwunden bleibt
die Beschaulichkeit
stiller Augenküsse
 

 
Entschwindende Tage
nichts bleibt fortzusetzen
die Wünsche ins
Kinderland geworfen
über die Vergangenheit hinaus
sonnenbetupfte Haut
mit Lippen
gepflückte Kirschen
schmecken nach
kußweichem Mund
verspätete Hoffnung
vibriert in den Zehen
nackte Füße
beginnen zu tanzen
der Juni blendet
über in den Juli
Sommernachtsträume
fortgezogen
mit Gewitterwolken


 
Angstschatten
mitten in der Nacht
entreißen den Traum
heiße Stirn
an gekalkter Mauer
gelähmtes Kopfinneres
aufgerissene Augenlider
suchen nach
einem warmen
Erinnerungsstrahl
der Denkraum
bleibt
haltlos
kalt
rabenschwarz
 


Elterngrab
Greiser Blick
schwerer Gang
enges Herz
im Eifer der Suchtliebe
einverleibt
abgegrenzt
 
Das Wi(e)der
nicht holbar
von gestern ins heute
 
Gegenwärtig
ein Atem erlischt
verschattetes Licht
 
Sterben
ein Wort
laut gebrüllt?
Verschwiegen?
 
Am endenden Rand
Verzeihen
 

 
Intellektuell

gefärbte Sprache
fremder und bizarrer Klang
Sinnlosigkeit
ein erkorenes Prinzip
besungen von
erdigen Tonträgern
mit buntgefärbtem Haar
an schwarzblauen Nägeln
orange
geschrifteter
Fortschrittsgeist

 




 
Dichterporträt

Für Peter Handke

Der gehobene Kopf
mit nach unten
gerichteten Augen
keinen Gegenstand fixierend
gedankenvoll
Bilder
in die Luft malend
hinter der hohen Stirn
die Auseinandersetzung
eigener Vorstellungen
mit fremden
Lippen
weich ineinander übergehend
zeigen das Bild
eines Mundes
der geschlossen ist
ohne sprachlos zu sein
 


Umarmter

Blick
Augen trifft
leuchtend
von Wangen berührtes
Nachhausekommen
entlang der Wörter
einander begegnen
mit offenem Lachen
Lippen lesen
unausgesprochene Worte
verweilen


 
Das verlorene Wort

in den Büchern
nicht gefunden
lautlos schwebend
sucht der Kopf
das  geborgte Gefühl
zwischen den Zeilen


 
Spätsommer

Im Schattenmund
vergangener Nächte
taucht Sehnsucht
in ein Wunschbild
damals war alles
nun ist die traute
Höhle der Erinnerung
zu verlassen
die Sinne der Wahrnehmung
in den Moment  Gegenwart
senken
als wäre Vertrauen nie gebrochen
in Sümpfen des Verrates


Foto Jan Findeis
 
Warte Kind

auf die Frau
die liebevoll dich hält
nicht angstvoll klammert
die trösten dich kann
nicht getrieben von Einsamkeit
sich flüchtet in dein Leben
Kind, warte auf den Mann
der  als Freund
dich trägt in seinen Gedanken
in seinem Herzen
Kind sollst leben
dein Leben
nicht Erfüllung
anderer Sehnsüchte sein


 
Im Morgennebel
der Regen
im Abschied
das Fenster
im Rücken
einer
nichtgemeinen
Zukunft



 
Sonnentag
in Frankfurt
Wien ist weit
der Kopf
Geweitet von
Apulien
zu wandeln in Prag
Nächte hindurch
vorm inneren Auge
des vertraut gewordenen
Unbekannten


 
In einer Nacht
übers Land gebreitet
herbstlich kühler Atem
dringt ins Sommerhaus
Türen bleiben geschlossen
hinter dichten Umarmungen
fallen Äpfel und
ein frisch erwachtes „Amen“
am Ende der
kürzer werdenden Tage


 
Vergangenvergessen

Das Land
krankt an
einer auf Vergessen
gebauten Illusion
formvollendete Lügen
frei von jeglicher Reue
wurzeln tief
die Auseinandersetzung
schmerzt
reißt Wunden
in Familienbande hinein
ein Protest
der versucht
frei von Haß zu sein
richtet sich gegen das Vergessen
dem eigenen
und das der Allgemeinheit
kämpft
gegen die Leerformeln
politisch geschulter Dialektik
kann nicht leben
bar der Hoffnung
einer von Ideologie
befreiten Wahrheit




Wahl
Stickiger Gestank
über den frischgedüngten
Nachrichtenwiesen
schreitet im Fluss mit
wogendem Grün
heulendem Orange
erinnerungsschwelgendem Blau
reduziertem Rot
beharrendem Schwarz
 
Einhorozontig
an zweisamen Ufern
das DU rechtsgewandt
linksseitig gehalten vom ICH
 
Österreich-Herbst:
vollmundige Phrasen
aus allen Lagern
 

 
Ostern
Im Herzen
einst eine Liebe
jetzt
gesetzte Gebote
erstarrt in Paragraphen
im Getön der Versprechungen
Balsam des Tuns
eine tätige Hand
schreibend
geschlagen ans Kreuz
Auferstehung
eine Antwort
im jeglichen Denken
auf die Frage des Herzen
frei von Strichen und Balken


 
Sechzig
Sonnenbestrahlt
sternenbestickt
kristallklar
für heute und künftig
offenwährendes Staunen
gegenwärtig beschwingt
wahrnehmend mit allen Sinnen
den Weg und das Ziel
erdnah gewölbt
von einem
geweiteten Herzen


 
Abschied
Weit der Weg
fort das Sehnen
widerständig
kämpft Was mit Warum
Folgen hinterfragend
schwinden Wünsche
an Wirklichkeiten
vorbei


 
Geliebt
Mit Liebe verwoben
ist Nähe Haut
verworfen fern aller Freunde
ist Erde kalt
gehalten fern der Gewalten
in Lüften Musik
leg das Wort
zärtlich zwischen die Augen
soll sein
was ist
ein gewunschenes Wort


 
Zeitgleich
das Ende als Anfang
Licht
gestrichen
gewellt
es war
ist
immer
gewesen
 

 
Rückschauende Vorsicht

Sterne ferne Welten küssen
Monde licht
in Sonnen glänzen
Meer in Wogen fest umarmt
Menschenfern
das Maß erblindet
von Macht umwoben
umgesetzte Zahlen
Werte sind
erkaufte Blindheit dumm
Kunst vermarktet
weltumspannend
frei verworfen
linke Mitte
starke Rechte wählt


 
Regen
spurt Wiesen
entlang Säumnissen
perlen Augen tief
Sucht sucht
verfehlte Zeit
ein abgefahrener Zug
ist Vergangenheit
heute
tanzt
jetzt
in den Distanzen
von Lieben


 
Aus-Einander
Einander begegnet
am Morgen
Sehnsucht an
der Seite des Mondes
suchende Lippen
gepflügt von Sonnen
Hände gehalten
Wörter gewechselt
Blicke getauscht
Körper vereint
ungebunden verblieben
gestrandet am Alltag
getrennt
geschieden
von  den Wogen der Nacht


 
Frei
In frostiger Nacht
sang ein Vogel
im blattlosen Baum
ein Lied
in Kälte erstarrt
süßbitter alles durchdringend
ein wissend
erwarteter Tod
 

 
An der Schwelle
zum Tod
erwachen
die Fragen des Kindes
vorbei am
vergänglichen Sein
umarmt
eine
hoffende
Liebe
die ewige Seele
in ureigener
Weise
 

 
Wunschlos

An den Stufen
einer Vollmondnacht
morgens am Teich
an den Lippen noch roter Wein
im taunassen Gras
schreibt der Bleistift
von Liebe gewärmte Körpern
aus Ferne nah



Hörend
Es hört
Haut aufgehört
Nacht ungehört
verhört
Schritte der Dauer
Sturz der Endlichkeit
hätten zueinandergehört
salziger Meeressand
wellenberauscht
gegenwartstrunken
ungebunden
ins Weg verschwunden


 
Schenk
mir das Wort
das dir sagt
nichts ist alles
zärtlicher Mantel aus Schweigen
liegt zwischen der Körper Nacht
bestirnt von Augen und Wangen
gesonntes Gefühl
gemundet im Kuss
 

 
Oktobermorgen

Schlafgestreckte Arme
zärtlich
träumend
erwachend
Ahnung des Herbstes
reifende Äpfel
noch bleibt Zeit
süß und wenig
bis zum ersten Schnee
grauer Asche


 
Erinnerungsverleimte

Wörter
neu belebt
frisch poliert
staunend
wärmt
Dank
hautnah


 
Oktoberregen
fällt auf den
Mönchsberg
in fremder Augen
tränender Blick
im bunten Laub
schattet  Grau
modrige  Ruheplätze
ihrer Sommerleichtigkeit beraubt
lautlos schreit der Wind
nach menschlicher Wärme
Sprache allein
ist
nicht Nähe genug
 


Lebensweg

Schritte gesetzt
nach vorne und zurück
in Niederungen verweilt
und lichten Höhen
gewichtiger mit
jedem Schritt
wurde
das lauter schreiende ICH
verblendet
anstelle des Herzens
klopfte ein vereinnahmter Richter
böse waren immer die anderen
gegenüber dem klagenden ICH
stellten sich Fragen
langsam heilte
ein  Schmerz
das leiser werdende
hörende
ICH


 
Was ich sah
Leben eben
hoch und flach
Welt
Himmelszelt
Spatzen frühmorgens
im benebelten Grün
Lachen im Ohr
um den Mund ein Schweigen
unhörbarer Geigen
 

 
Der stumme Prophet

Geschöpfe
ohne Köpfe
kurzfuß
armlang
rückenfrei
klaglos
erdenschwer
himmelsfern
Bilderfluchten
wortegetränkt
anstandsfrei
bedacht
 

 
Spinnennetz
Fragen
zu verstehen wagen
wurzelnde Zeit
treibt Blüten
geerntete
Frucht der Furcht
erkennendes
Leben
erwirkt


 
Nachtschwemme

Flaschen von Wein
viele Gläser
erdschwer
in die Nacht gepresst
Wörter zählten
Finger und Augen
mutlos sanken
Lider
Begegnungen verschwammen
nie über das
Ego hinaus
 

 
Während
in Lichtgeschwindigkeit
Sekunde
freudvolles Leuchten
indessen
die Bombe birst
fundamental
missbraucht
die Erde vom Menschen
gebrochen



 
Winter der Gedanken
Sturmverweht
schneeverhangen
erstarrt
gespiegelt im See
Empfindungen
des letzten Sommers
fern der Sonne
windet müder Schlaf
Schlingen um Körper
erschöpft
die Sehnsucht
nach Berührung


 
Vergeben
ein Wort
eine Schuld
gegeben
ein Versprechen
ohne Anfang und Ende
vergebens


 
Nähe
so groß deine Angst
Flüchtender
immer weiter flieht
wurde durch Ferne
das Denken freier?
das Lachen heller?
die Balken
kopfgebündelt
treue Gefährten sind


 
Blind
das Gefühl
taub
das Empfinden
grenzenlos
das Begehren
in Summe
die falsche Liebe


 
Der Geliebte
in verneinende
Stummheit gehüllt
den Körper besitzergreifend
verarmt in der Seele
hohl selbst die Tränen
an den Ränder des Abschieds


 
Wiedersehen
Aufsteigendes  Erinnern
das Gefühl
Empfinden von damals
in das Vergessene
geschobene Wünsche
pochen hinein in die Gegenwart
Trennlinien sind Filter
fürs wünschende Vergessen
Träume versanden
Jahre danach
die Beschwörung
schön anmutend
bricht das Heute
die Vergänglichkeit
entzwei
 

 
Scheinwerferlicht

der Öffentlichkeit
Hören ohne Verstehen
Leben ein Traum
im Erinnern ohne Gegenwart
alles Empfinden
von Wünschen aufgesaugt
Nähe liebt
einen gegenwärtigen Freund
 

 
Weit

ist der Abend
die Fenster offen
Augen geschlossen
Herzzeitlose verblassen
das befehdete Land
gekrümmt von Raketendonner
erbetet  Frieden


 
Vater und Sohn
Für David  Grossman

 
In dem befehdeten Land
nahm der Vater
den Sohn
ins Zentrum des pulsierenden Herzen
Zog ihn groß
in einer Sprache
frei von Rache
offen für das Verständnis
 
Der Hass
entfachte einen
neuen Krieg
Der von Bomben getöte Sohn
wird durch kein Geschrei
keine Träne
kein Staatsbegräbnis
lebendig
 
Der Vater
hält Andacht
fern aller Tröstungen
ruft in der Erinnerung
die sanfte Stimme
des Sohnes
Fern  den Antworten
verstummen alle Fragen


 
Draußen

die Vorstellung
drinnen der Glauben
der Anfang gerichtet
das Ende unbestimmt
der Weg
ein Ziel
in den Genen
der Geschlechter
eingefasst  von
Gesellschaftsnormen
einheitlich
alles bestimmend
die Struktur eines Charakters
erhört
vom Willen der
unterwerfenden Macht


 
Seiendes

nicht haftend
ist Gegenwart
Bleibendes
flieht der Wertung
übt Weitergeben
im Kreislauf
des Werdens
 

 
Altes Herz

hängt lachend am Leben
mit steifen Gliedern
gefaltetem Mund
zerknitterten Augen


 
Nachtgedacht
Der Dunkelheit
glänzende Augen
versinken in Stille
Intensität des Innehaltens
erweckt alle Sinne
lautloser
Sternenglanz
durchbricht Grenzen
von Ländern und Sprachen
der Morgen errötet
wortlos gekleidet
zum neuen Tag
 

 
Fahler Schatten

bewacht vom Mond
nichts gebärend
filtert Licht der fernen Sonne
Feld der Sterne
uferloser Acker
wenn es ewig ist das Sterben
warum nicht auch das Leben
einmal vom Ernst befreit
wird Lachen leicht gefaßt


 
Kafkas Schritte

höre das Verstehen
schreibe nicht alles
Frauen sind
gläserne Bilder
zu Briefen gepresst
bar jeglicher
berührenden Lust


 
Prag

Die Wörter einer fremden Sprache
freundlich unbewohnt
bewirken Fortschreiten
ferner Weltenblick
umarmt nahen Schlaf
ineinanderfliessende
Grenzen und Zustände
das Neue erweckt das Alte
hebt hinweg übers Vergessen
Gefühl und Intellekt verschmelzen
von innen nach außen
Ich schwindet
Grammatik endet
ins Dasein gezogene Sehnsucht
versinkt in samtener Haut
im Mondschatten erklingt die Arie
ewige Rose in rot
weiße Pferde fallen vom Himmel
nächtens am Altstädterring
 

 
Verbindend
Brücke der Gedanken
Zeit, Raum, Distanz
schwindet
 
Zoubeks Skulpturen
auf dem Sprung vom
Jugendstil Café
hinüber ins französische Bistro
 
Die aufgehängte Figur
gegenüber der Kirche
das Kreischen der Möwen
auf dem Kampa Park
 
Nie aufhörender Besucherstrom
entlang der Karlsbrücke
Gassen weiter
bleibt Prag still
 
In alten Gemäuern
Geschichten von
Besiegten und Siegern
im Pflaster eingekerbt
Schmerz und Freude
 
Nonchalante Gleichgültigkeit:
das kurze Jetzt
geht vorhanglos weiter
 

 
Scheiden
Im Schlaf geweckt von der Verlassenheit. Der Körper ruft  nicht verfügbare Funktionen. Die Stimme stumm. Die Glieder steif.  Denkenmüssen.  Ein Nichts aus Schweiß und Stille. Der Schlaf löst das Wollen. Der Körper erwacht neben dem Bett. Alles unbeschrieben leer. Trübung des bewußten Seins. Hilflose Fragen Antworten suchend. "Wer, wo, was?"  Brennen im Kopf. Hände erstarrt. Der Bleistift? Beim Einschlafen lag er in der ermüdeten Hand. Verloren? Verworfen? Nicht greifbar. Was suchen?  Gedanken gesetzt in der Struktur , die die Grammatik vorgibt. Der Blick war im Himmel. In der nacherzählten Empfindung verschwindet die Erscheinung, windet sich im Formulieren. Der Himmel erhellt von Ludwig Wittgensteins Lächeln  wärmt. Der Fall aus dem Bett  rief den Schmerz. Ein treuer Gefährte. Entschiedener als die Angst,  dem Nebel gleichend, der morgens da ist. "Benebelt", das Aufwachgefühl. Zwischen den Wahrheiten von Tag und Nacht. Wann wurde dem Sein dieses engsitzende "Ich" rübergestülpt? Kein Erinnern,  kein Entrinnen. "In der Stunde unseres Absterbens"  Rosenkranzgebete in den Sterbezimmern. Die Dorfgemeinschaft versammelte sich nach dem Läuten der Totenglocke.  Einträchtig,  zwieträchtig  die Neugierde  der Betroffenheit.  Bedeutungen, gewogen von der Zeit. In des Winters weißer Kälte die Arbeit der Totengräber. Furcht vor der einsam gefrorenen Erde.  Prozeß der Verwesung: halb Gewußtes, wissenschaftlich verbrämt. Lau gegen den Glauben des Kindes, dem die Welt märchenhaft ist. Glaubend, ist  Lachen herzlich belebt. Vor dem Sterben noch einmal so stark sein. Unbekanntes Land, neu zu lernende Sprache, gestärkt von der Hoffnung: Rückkehr in den Schoß der Liebe.


 
L(i)eben
 
Ist
Liebe
Liebe
wird
einatmen
festhalten
ausatmen
loslassen
Äusseres verstummt
Inneres leuchtet
wenn
Liebe
Liebe
ist
 

 
L

dich umarmen
in einer von Zeit
losgelösten Berührung
in unseren Augen
geschrieben
die verbliebene Frist
kann dich nicht trösten
nur lieben
 

 
Augenblicklich

Geh weg
mit den bedeutungsschweren
Worten und Gesten
 
Nebelwolken
eines späten Sommertages
mit Augen erfrischen
 
Hände als Netze spannen
über Steine
die Wiese
das Papier
 
mit Licht im Haar
zinnoberrot
das Leuchten
der Schwertlilie
 

 
 
 
 
 
 

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