Die Spaltung des Weltbildes

Rupert Riedl, 1985

"Wir werden diese Welt nicht verstehen, wenn unsere Theorien den Bedingungen ihres Entstehens zuwiderwirken. Und wenn wir auch zu klein sind, um die Welt zu ruinieren, unsere kleine Menschenwelt zu ruinieren, das würden wir vermögen."

Die Spaltung des Weltbildes, S. 290

 

Die Spaltung des WeltbildesDie Evolutionäre Erkenntnistheorie vermag die stammesgeschichtlichen Grundlagen unserer Vernunft aufzuklären. Diese angeborenen Fähigkeiten, unsere Welt zu deuten, sind von KONRAD LORENZ 1941 aufgeschlossen, 1973 begründet und von mir 1980 systematisch dargestellt worden. Dabei wurde aber nicht nur die Treffsicherheit dieser Anschauungsformen aufgedeckt, sondern auch ihre Grenzen und jene Mängel, die unsere reflektierende Vernunft völlig in die Irre leiten können.

Die Hypothesen von den Ur-Sachen und Zwecken stehen am Ende jenes Systems angeborener Erwartungen; nach den Hypothesen von Raum und Zeit, von Wahrscheinlichkeit und Vergleichbarkeit. Wie diese stehen auch sie einander diametral gegenüber und machen uns mit dem Erleben scheinbar unvereinbarer Verstandesqualitäten diese Welt nur ausschnittsweise deutbar. So besitzen wir auch keine Anschauungsform für das Erleben des Zusammenhangs von Kraft und Sinn. Zusammen sind es eben nur Sinnesfenster, die, wie die Achsen eines Wetterhahns, nach sechs Richtungen in die Strukturen dieser Welt sehen.

Ein Janusgesicht der kausalen Weltdeutung ist uns damit vorgegeben indem wir meinen, diese Welt entweder materialistisch auf ihre ersten Ursachen oder aber idealistisch auf ihre letzten Zwecke zurückführen zu müssen. Denn soweit wir die Geschichte unserer Welterklärungen zurückverfolgen können, hat diese Spaltung unsere Kultur begleitet. Sie entspricht dem Dilemma, mit jenen einfachen Werkzeugen der Kompliziertheit einer Welt, wie sie uns unserer arbeitsteiligen, technischen Zivilisation unterlaufen ist, nicht mehr zu genügen.

Eine Spaltung in zwei Kulturen ist die Folge geworden. Eine materialistischszientistische Subkultur der Naturwissenschaften verändert die Welt und wird zum Schrecken, weil sie diese Welt nur halb versteht. Eine idealistisch-hermeneutische Subkultur der Geisteswissenschaften hat ihren Methodenbegriff in der Philosophie verwirrt und vermag das Unheil, das sie sieht, nicht zu steuern. Und aufgrund fehlender Einsicht verfechten nun Ideologien jene einander ausschließenden halben Wahrheiten, so unsere Vernunft einer ganzen bedürfte, um den Problemen unserer Zivilisation Herr zu werden.

Mit der Systemtheorie begannen wir diese Spaltung zu ahnen, die Zwecke, etwa wie es noch ARISTOTELES sah, als eine der Formen der Ursachen zu betrachten, den Schichtenbau der Dinge dieser Welt zu begreifen und die Zweiseitigkeit der Bedingungen alles Werdens. Diese Ahnung, daß der Wechselkausalität dieser Welt unser alternatives, lineares Кausalitätsdenken nicht gerecht wird, kann die evolutionäre Theorie nun begründen. Wir können am Scheitern der Vorbedingungen unserer Vernunft erkennen, wo diesen nicht mehr zu trauen ist.

Eine Selbst-Transzendenz ist vorzunehmen. Worin wir zwar nicht die Kräfte unseres Verstandes, wohl aber die unserer erblichen Anschauungsformen übersteigen können. Und wir werden dies müssen; weil sie zwar für die Problemlösung in 6 Vorwort der Welt eines Raubaffen noch für das Überleben sorgten, weil sie uns aber gegenüber den Problemen unserer Tage so ratlos machen, wie in die Teufelskreise vermeintlicher Zugzwänge eskalieren. Diese Selbst-Transzendenz wird zur Überlebensfrage unserer Art werden, wenn auch nur als ein weiterer Schritt der Evoltuion.

Die Verantwortung, dieses Umdenken anzuleiten, muß die schiere Unmöglichkeit meines Unterfangens rechtfertigen. Denn bei dem allgemeinen Kultur-Lamenta darf es nicht bleiben. Wir brauchen, um die Zeit zu wenden, definierte Theorien, die an der praktischen Erfahrung erhärtet werden, oder aber scheitern können. Den Erfolg meiner Theorie mehrseitiger Kausalität muß ich darum allen Natur- wie Geisteswissenschaften in Aussicht stellen. Und das ist dem Einzelnen heute schon fast unmöglich.

Das Glück, sehr gescheite Freunde zu haben, hat mich über jene Unmöglichkeit beruhigt; und wenigstens zu Andeutungen der Lösungen bewogen, gefördert noch durch den Umstand, daß, entgegen der Skepsis und Ablehnung bedeutender, philosophischer Schulen, die Evolutionäre Erkenntnislehre in nur vier Jahren schon in jeder Wissenschaft ihre Vertreter gefunden hat; von der Pädagogik der Physik bis zur Kultur-Anthropologie, und von Denkpsychologie bis zur Rechtssoziologie. Ihnen allen danke ich, wo immer das in den Anmerkungen zu den Einzelthemen des Textes möglich werden wird.

Hier gilt mein Dank aber bereits der noch größeren Zahl von Denkern, in deren Tradition ich stehe, einer Kultur, die es sich nur in ihrer Breite zu leicht gemacht hat; die aber in allen Wissenschaften Persönlichkeiten zum mindesten geduldet hat, die zu zweifeln und zu suchen nicht verzagt haben; die die Verantwortung getragen haben, gegen den Unfug und für den Menschen zu wirken. Sollte ich verstanden werden, so ist dies ihnen zu danken. So, wie dem Verlagshause Paul Parey, das dieses Umdenken fördert. Manche dachten, das Pulver der Evolutionären Theorie wäre nun verschossen. Aber es war erst, darf ich versichern, die Spitze eines Gebirges von Konsequenzen, die wir nun beginnen aufzurollen.

Wien, im Sommer 1984,  Rupert Riedl

Unter diesem Link ist das gesamte Buch nachzulesen (kosten- und werbefrei)
Dank der Österreichischen Mediathek sind "Spezielle Kapitel der Evolutionstheorie" aus dem Jahre 1998 nachzuhören

 

 

 

Aktuelle Textbeiträge

Tagesrandbilder

Enttäuscht

26.3.2024 Hilfreiche Vorsilbe ENT/ die Täuschung eine Larve/ Zwischenstufe jeder Wandlung/ weiter zum Sinn/ den Zweck zurücklassend

Zwischen (W) Orte

Gescheit/er/t

Gescheitert

2024 - Kafkat & Milovat*

Hauptmenü