Kunstalbum Czernowitz

Das Kunstalbum Czernowitz wurde von Sergij Osatschuk am 19. November 2018 Musil im Literaturmuseum Klagenfurt vorgestellt. Zuvor sprach ich mit Igor Pomerantsev über seine Erinnerungen aus der Czernowitzer Jugendzeit und las aus seinem Essay-Band "Erinnerungen eines Ertrunkenen".
Ein herzliches Dankeschön an Sergij Osatschuk für den PDF Link zum Kunstalbum Czernowitz im März 2025 - in Prag steht ein signierter Buchband im Czernowitz Regal.
Milena Findeis
Der 362 Seiten umfassende Bildband wurde von Sergij Osatschuk und Tetyana Dugaeva, unterstützt von der Österreichischen Nationalbibliothek und dem Land Kärnten, 2017 in ukrainischer und deutscher Sprache herausgegeben. ISBN 978-617-614-185-3. Nachfolgend aus diesem Buch das Vorwort von Raimund Lang und die Einführung von Tetyana Dugaeva, Kunstwissenschaftlerin, Mitglied des Nationalen Malerverbandes der Ukraine ins Deutsche übersetzt von Vitali Bodnar.
Das Gemälde ist nichts als eine Brücke, welche den Geist des Malers mit dem des Betrachters verbindet. Eugen Delacroix (1798–1863)
Kunst ist immer subjektiv. Sie geschieht, wie uns die Theoretiker lehren, im Kopf. Das Produkt des Künstlers, üblicherweise „Kunstwerk“ genannt, ist also nur ein Medium zwischen Schöpfer und Betrachter und „Kunstbetrachtung“ folglich die persönliche Auseinandersetzung mit einer fremden Sichtweise. Die Frage der künstlerischen Qualität muß deshalb zwangsläufig zu oft ganz gegensätzlichen Antworten führen, je nachdem welches Maß an Zustimmung, Betroffenheit, Ratlosigkeit oder Ablehnung das Artefakt auszulösen vermag. Das gilt zwar für alle Künste, doch für die optische Wahrnehmung ganz besonders, da sie uns viel unmittelbarer und konkreter begegnet als die akustische, die Musik. Die kunstphilosophische Behauptung von der Kunstgenese im Kopf bedarf somit der Ergänzung, daß sie auch vom Gefühl bestimmt wird, also im Herzen entsteht. Dem obigen Zitat des französischen Spätromantikers Eugen Delacroix von der geistigen Brückenfunktion des Bildes sei deshalb ein Diktum seines älteren Landsmannes, des Literaten Denis Diderot (1713–1784), beigefügt, der die Malerei zu einer Kunst erklärte, welche die Seele durch Vermittlung der Augen zu bewegen vermag.
Czernowitz, die „vielzüngige“ (J. V. v. Scheffel) Perle am Pruth, wird nicht ohne Grund als hochrangige sprachliche Produktionsstätte gerühmt. Aber der idiomatisch begrenzten Ausdrucksform der Sprache steht auch hier die universelle des Bildes gegenüber, der Kunst des Wortes die Suggestion des Blicks. Erstaunlicherweise liegt dieser Blick bislang im Schatten. Denn während der Czernowitzer Literatur ganze Konvolute von Anthologien und Interpretationen gewidmet sind, ist eine umfassende Darstellung der regionalen Malerei und Graphik bislang unterblieben. Somit betritt dieses Buch Neuland auf dem alten Boden – auch wenn dieses Bild vordergründig pardox klingen mag. Es widmet sich dem Vertrauten, indem es Blicke sammelt, die in solcher Vielfalt noch nie auf so kleinem Raum gebündelt waren. Zwar liegt über Czernowitz ein hervorragender Fotoband aus dem Jahre 2007 vor, doch ist dieser eine Sammlung zufälliger und kalkulierter mechanischer Momentaufnahmen. Das vorliegende Buch aber ist eine Summe Epochen überspannender Sinneseindrücke, allesamt entstanden aus der empfindenden und erwägenden Seele eines Künstlers und durch seine gestaltende Hand.

Vorwort Helmut Lang
Czernowitz genießt den Ruf der Besonderheit. Und es ist viel geschrieben worden, um deren Wesen auf die Spur zu kommen. Es ist keine Weltstadt, weder Bühne der Schönen noch Treffpunkt der Mächtigen. Seit sie sich ab dem Ende des 18. Jahrhunderts vom Lehmhüttendorf zur Landeshauptstadt emporgeschwungen hat, blieb ihre Pracht maßvoll, ihre Bedeutung provinziell. Was Czernowitz auszeichnet, ist seine unaufdringliche, schlichte, an manchen Stellen geradezu zweckmäßige Schönheit. Das Bild der Stadt überzeugt mehr durch seine Geschlossenheit als durch punktuelle Brillanz. Sogar das nach Anlage und Wirkung herausragende Bauwerk, die zum Weltkulturerbe erklärte Residenz, fügt sich eher zurückhaltend in das Gesamtbild ein, rundet es ab, ohne es zu beherrschen. Um das Besondere dieser Stadt zu begreifen, muß man um ihre Genese wissen. An einer europäischen Schnittstelle gelegen, wurde sie durch die Jahrhunderte zu einem ein Ort der Völkerbegegnung. Es ist wohl mehr ein gnädiger Zufall der Geschichte, als das Ergebnis planvoller Siedlungspolitik, daß hier langfristig nicht Völkerstreit dominierte, sondern Vielfalt auf engem Raum entstand, die zur Einheit wurde. Von dem runden Dutzend der hier zusammenlebenden Nationen war keine groß und stark genug, um sich über andere zu erheben. Die pragmatische Konsequenz daraus war das friedliche Nebeneinander, das vielfach auch ein Miteinander war und eine Atmosphäre entstehen ließ, die gleichermaßen duldsam wie fruchtbar war.
Deshalb werde ich nicht müde werden zu betonen, daß Czernowitz eben keine deutsche Stadt war, auch keine jüdische und keine rumänische, weder ruthenische noch polnische. Sie hatte von allem, und das machte sie besonders. Historisch wäre am ehesten der Sammelbegriff „österreichisch“ anzuwenden, denn er subsumiert diese Vielfalt. Czernowitz, das war das vorübergehend erfolgreiche Praktikum einer letztlich gescheiterten Idee, nämlich jener vom völkerreichen Donaustaat. Und sie war als binneneuropäische Konzeption wesentlich weiter gediehen, als die fragilen Konstrukte unserer europapolitischen Gegenwart.
Derlei Gedanken dürfen uns beschäftigen, wenn wir mit wachem Auge durch Czernowitz promenieren, durch die Menge der Tafeln und Denkmäler aus verschiedenen Perioden und zwischen den oft unkommentierten Jahreszahlen, die Anstoß für Assoziationen geben. Bei alledem ist aber entscheidend, diese Stadt als etwas organisch Gewachsenes zu verstehen und nicht allein als Relikt überwundener Herrschaftsstrukturen. Eines fügte sich zum anderen und gehört folglich dazu, ob Bild oder Text, ob Zweck oder Schmuck. Die Stadt ist vornehmlich ein Ort zum Leben und dient erst in zweiter Linie der Repräsentation. Und wie die Menschen, die sie durch all die Zeitläufe haben wachsen lassen, trägt sie Schrammen und Schminke, zeigt sie sich strahlend und düster, vereint sie Noblesse und Tristesse. Denn der Puls der Stadt schlägt nicht nur auf dem Ringplatz und in der Herrengasse, sondern ebenso in den Gemüsegärten und Kastanienalleen, zwischen Marktbuden und Balkonen, in den beschatteten Parks und den verrotteten Hinterhöfen.
Es ist das Charisma des Künstlers, all das spürbar werden oder zumindest ahnen zu lassen. Sein Blick geht über das Erkennbare hinaus, er berichtet von Erlebtem und Erfühltem, die dem Sichtbaren eine ganz persönliche Gestalt verleihen. Wenn zwei dasselbe Objekt betrachten, so können zwei gänzlich unterschiedliche Bilder entstehen – das ist der Reiz der Kunst, und das ist auch ihr Geheimnis.
Vielgestaltig wie die Stadt ist folglich auch dieses Buch. Es ist stadtgeschichtlich genauso interessant wie stilgeschichtlich, ist kalligraphisch wie topographisch und biographisch. Ich habe unter all den Bildern meine Favoriten gefunden, aber auch manche, die mich eher verstören. Das bedarf keiner näheren Darlegung, denn jeder wird als Betrachter des Betrachteten eigene Empfindungen hervorbringen und damit neuerlich zum produktiven Interpreten.
Mehr als hundert Maler und Zeichner haben zu dieser grandiosen Sammlung beigetragen. Es ist unmöglich, sie alle zu nennen und zu werten – man muß ganz einfach nur schauen und schauen ... Wer Czernowitz kennt und liebt (und das liegt meist nahe beieinander), wird von dieser überraschenden Fülle gefesselt sein. Noch nie hat man diese Stadt so intensiv, weil so „vieläugig“ betrachten können. Das Blättern durch diese Seiten ist wie ein Spaziergang durch ein Wunderland, das auf denselben Wegen immer wieder neue Blicke auftut. Reale Existenz und persönliche Anschauung sind zwei gegenüberliegende Ufer, und dieses Buch ist ein Brückenkopf zwischen Gestalt und Wahrnehmung.
Helmut Lang
Einführung Tetyana Dugaeva

In dem Band „Czernowitz“ wird die Ikonografie der Stadtlandschaft von Czernowitz vom 19. bis zum 21. Jahrhundert vorgestellt. Darin wird die Entwicklung der urbanen Landschaft von den malerischen Architektur-Reisen von Topografen der längst vergangenen Zeit bis zu den lyrischen Betrachtungen und konzeptuellen Deutungen des Stadtlebens durch zeitgenössische Künstler nachgezeichnet.
Das Buch enthält Werke von mehr als 120 Künstlern aus Czernowitz und anderen Orten der Ukraine sowie aus einigen anderen Ländern. Die Werke unterscheiden sich in Bezug auf die Zeit ihrer Entstehung und auf die Form der Realisierung. Eine Reihe von Stadtportraits stellt auf einprägsame Art und Weise die einzigartige Architektur der alten Stadt vor. Gleichzeitig machen diese Abbildungen möglich, die ganz spezielle Stimmung von Czernowitz wahrzunehmen, die von den Künstlern wiedergegeben und gleichzeitig geschaffen wird. Die Publikation richtet sich an heutige und künftige Leser.
Die ersten Stadtlandschaften von Czernowitz entstanden aus der Hand von reisenden Meistern Anfang des 19. Jahrhunderts. Ein Panoramabild der Gegend am Pruth schuf der bekannte Kartograf aus dem deutschen Würzburg Eduard Greipel. Er ist Autor des Aquarellbildes „Czernowitz. Ansicht von Norden“ (um 1823). Dieses Bild gibt nicht nur realitätsnahe Umrisse der Stadtbauten wieder, sondern verzaubert auch durch die morgengrüne Stimmung der Komposition aus Hügeln und Flusswindungen, die vom gemächlichen Stadtpanorama überragt wird. Der Autor zeigt seine Begeisterung über die lokalen Einwohner und fügt Genreszenen in das Bild ein: Menschen am Floß mit Fässern, ein Fischer am Flussufer oder ein Wagen mit einem Gehilfen auf der altertümlichen Schwimmbrücke.
Im Anschluss an seine Reise brachte der Maler aus Lemberg und Absolvent der Wiener Akademie der Bildenden Künste Antoni Lange das Landschaftsbild „Ansicht von Czernowitz mit der Schiffsbrücke über den Pruth“ (um 1810, Lithografie, getont nach 1823) hervor. Diese Arbeit ist voller Lyrik, Durchsichtigkeit und Zartheit und gibt ein für ihn sehr typisches Beispiel der Idealisierung von Natur, starrer Darstellung von Menschengestalten und seinem Streben, topografische Besonderheiten wiederzugeben. Eine hochqualitative Lithografie dieser wahrscheinlich ältesten Darstellung der Stadt wurde 1823 in der Werkstatt von Piotr Piller in Lemberg hergestellt.
Das Buch von Theophil Bendella „Die Bukowina im Königreiche Galizien“ mit Bildern von J. Schubirß bildet eine wertvolle Quelle für das Studium der frühen Ikonografie von Czernowitzer Stadtlandschaften. Diese Rarität von 1845 ermöglicht tiefe Einsichten in die zentralen architektonisch-künstlerischen Merkmale der Stadtlandschaften des damaligen Czernowitz. J. Schubirß hinterließ eine Reihe von Arbeiten, die das Stadtbild dokumentieren: von der Landschaft mit der alten Jochbrücke über die „Ansicht von Czernowitz von Norden“ bis zu den einzelnen Gebäuden. Ein Beispiel ist die Abbildung der einem Wohnhaus ähnelnden landesfürstlichen Kirche Maria Himmelfahrt (um 1840, Lithographie), die am Hügel neben dem Türkischen Brunnen und später neben dem Kursalon im 1830 angelegten Volksgarten stand.
Zur selben Periode gehört auch das idyllisch anmutende Pastoralpanorama von A. Malchus. Durch die Abbildungen von nicht mehr existierenden Bauten und früheren Landschaften werden diese Werke zu bedeutenden künstlerischen und historischen 16 Dokumenten. Die Betrachtung dieser Bilder wird zum emotionalen Erlebnis der Bewunderung, zum Beispiel einer alten Pfahlbrücke oder eines längst verschwundenen Parkbades mit Säulen, das einst einen Czernowitzer Park zierte.
Spannende Beispiele der sukzessiven Entwicklung der Stadtlandschaft zu einer selbstständigen Kunstgattung liefern Werke einiger Czernowitzer Maler, wie zum Beispiel des Kartografen Anton Ritter von Borkowski, des Gymnasium-Lehrers Franz Emery oder von Johann Riebauer, der als Lehrer an einer Gewerbeschule tätig war. Ihre Werke aus den 1830er bis 1870er Jahren verkörpern die Intention, das architektonische Antlitz von Czernowitz rund um das Zentrum des urbanen Lebens am Ringplatz nachzuzeichnen, wo bereits damals das Rathaus das neue Gesicht der Stadt prägte. Damals standen auf diesem zentralen Platz weder der elegante Turm des historischen Gebäudes „Drei Kronen“ noch das architektonische Juwel des 20. Jahrhunderts, die Bukowinaer Sparkasse (heute Kunstmuseum).
Besondere Aufmerksamkeit verdienen Landschaften mit Menschengestalten, die in Gespräche vertieft unaufdringlich in Szene gesetzt werden. Sie repräsentieren Stadtcharaktere mit ihren Interessen, Konflikten und ihrer Heiterkeit. Bei der genauen Betrachtung der dargestellten Menschen kann man in Anton Borkowskis Bild auch sein Selbstporträt beim Malen entdecken („Czernowitz. Ringplatz“, um 1854). Borkowskis Studien der Alltagsszenen mit Musikern oder Schauspielern stellen eine lebendige Quelle für die Erforschung des kulturellen und gesellschaftlichen Lebens sowie der Kulturlandschaft dar. In diesen Jahren wird der Rahmen der Czernowitzer Urbanistik durch die Landschaftsmalerei erweitert.

Lithografie koloriert
So wird bei Franz Xaver Knapp, dem keine protokollartige Festhaltung der städtischen Umwelt nachgesagt werden kann, die Architektur in ihrer Verbundenheit mit Natur und Genreszenen präsentiert. In diesem Zusammenhang ist eine seiner Landschaften, „Ansicht von Czernowitz“ (um 1860), zu sehen, in der die Stimmung einer Czernowitzer Gesellschaft bei einem Ausflug in die Natur sinnenfreudig wiedergegeben wird. Die Vitalität des Bildes wird durch das statische Panorama im Hintergrund und die Dynamik im Vordergrund kontrastiert. Zu den prägnantesten Arbeiten von Knapp gehört eine Reihe seiner weiträumigen Sujets mit figurenreichen Darstellungen von Ringplatz, Straßen und Tempeln. Ein Beispiel dafür ist die poetische Abbildung des vom Schnee bedeckten Czernowitz („Wasserweihe am Jordansfeste beim Türkenbrunnen“, um 1860). Knapps Werke zeichnen auf einmalige Art und Weise die Ereignisse nach, die Czernowitz damals bewegten und deren Zeuge er war (z. B. „Der Brand von Czernowitz am 21. August 1859“, „Der Abend des 20. Juni in Czernowitz“). Einige urbane Motive der Landschaften dieses Künstlers stellen Gärten und Parks der Stadt dar.
Die 1867 in einem Bildband veröffentlichten Aquarellbilder des Volksgartens bereichern unsere Vorstellungen über die Architektur von Czernowitz und werden zum wertvollen Dokument mit Informationen über einige bereits verschwundene Bauten und Parkalleen. In der Geschichte der urbanen Landschaftsmalerei von Czernowitz wird das Jahr 1867 durch das Entstehen eines neuen architektonischen Motives gekennzeichnet, das mehrere Generationen von Künstlern beeinflusste. Es geht um die künftige erzbischöfliche Residenz und zahlreiche Aquarelle des tschechischen Architekten Josef Hlavka, der als Autor dieses – später zu einem Wahrzeichen der Stadt avancierten – Gebäudekomplexes bekannt geworden ist. Dazu gehören vor allem seltene Darstellungen wie das „Seminargebäude mit der Seminarkirche der drei Theologen“, „Der Synodensaal“ und „Die St.Johannes-Kapelle und das Klostergebäude“. Die Aquarelle von Josef Hlavka werden durch die schlanke Präzision und Feinheit, durch die Ganzheitlichkeit der Farbgebung und die Dokumentalität geprägt. Der Autor gibt nicht nur das äußere Bild einzelner Bauten auf makellose Weise wieder, sondern bildet in beindruckender Manier den historisch einzigartigen Charakter einzelner Bauten der Residenz ab, welche die unnachahmliche Besonderheit der Bukowiner Hauptstadt unterstreichen. Auffallend ist die wundervolle Energie dieser Werke, die das Gefühl von Unendlichkeit und Tiefe hervorruft. Diese Aquarellbilder wurden auch von Zeitgenossen hoch geschätzt. So hielt beispielsweise der Architekt Hans Auer ein Werk von Josef Hlavka, das auf der Wiener Weltausstellung 1873 präsentiert wurde, für eine technisch hervorragende Skizze des Interieurs der Czernowitzer Residenz.
Unschätzbar sind auch die Darstellungen der Innenräume der Residenz, die durch den Brand 1944 teilweise zerstört wurden. Vor allem geht es hier um das äußerst seltene Bild „Die St.Johannes-Kapelle“ des bekannten Malers Carl Jobst, der in den 1860er Jahren vor allem Sakralräume bildlich gestaltete. Dank ihm haben wir die Möglichkeit, die Innenausstattung der auf tragische Weise verloren 17 gegangenen Hauskapelle der Erzbischöfe kennenzulernen. Beeindruckend sind auch spätere grafische Kompositionen von Karl Siegl, in denen der Autor mit außerordentlicher Virtuosität die Größe des Synodalsaals und der Seminarkirche wiedergab. Die erzbischöfliche Residenz der Metropoliten der Bukowina, die wahrscheinlich erstmals von Josef Hlavka abgebildet wurde, zieht Maler mehrerer Generationen an, da ihr Motiv zum fixen Bestandteil der Czernowitzer Landschaftsmalerei geworden ist.
Zwischen der zweiten Hälfte des 19. und den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts sind wunderbare Einzelbilder und Illustrationen dieses architektonischen Ensembles entstanden. Dazu zählt Grafik von Johann Kirchner, Augusta Kochanowska, Rudolf Bernt, Julius Helzel, Eugen Maximowicz, Riccardo Righetti und Leon Kopelman. Die vertrauten Umrisse der Residenz finden sich auch auf den damals verbreiteten Panoramabildern von Czernowitz. Die in diesem Band abgebildeten architektonischen Landschaften von Franz Xaver Knapp, Ladislaus Żurkowski und Riccardo Righetti machen es möglich, eine Art Chronik der Stadtentwicklung nachzuzeichnen. Die protokollarische Realitätsnähe verleiht diesen Bildern nicht nur den Dokumentationscharakter, sondern stellt oftmals eine bewegte Geschichte dar.
Die zweiteilige Komposition „Die neue Universitätsstadt Czernowitz in der Bukowina“ ist ein mit Begeisterung erfülltes Beispiel dafür. Diese Gravur wurde gemeinsam mit dem Czernowitzer Fotografen Anton Kluczenko geschaffen. Lyrisch und märchenhaft mutet die üppige schneeweiße Landschaft des winterlichen Czernowitz von Johann Kirchner an („Czernowitz“ – eine Illustration im Reiseführer von A. Heksch, W. Kowszewicz, herausgegeben 1882 in Wien). Eine bedeutende Rolle in der Entwicklung der Czernowitzer Landschaftsmalerei und des Stadtpanoramas spielen unter anderem die Veröffentlichungen zur Geschichte der Bukowina und ihrer Hauptstadt.
An der Entstehung solcher Werke wie „Die österreichischungarische Monarchie in Wort und Bild“ sowie einiger namhafter Arbeiten von Raimund Friedrich Kaindl, Тheophill Bendella, Аnton Nussbaum, James Baker etc. waren mehrere Illustratoren beteiligt, darunter die Czernowitzer Maler Franz Emery, Аnton Borkowski, Аugusta Kochanowska, Eugen Maximowicz, der Architekt Karl Adolf Romstorfer sowie Künstler wie Donald Maxwell, А. Kail, Rudolf Bernt, Julius Zuber, Theodor Ehrmanns, Аnton Kaindl, Hugo Charlemont und andere.
Wenden wir uns wieder den Bildern von Czernowitzer Plätzen, Märkten, Straßen und einzelnen Gebäuden zu, so stellen wir fest, dass neben den oben bereits erwähnten Künstlern auch andere diese Motive nutzten: Karol Mlodnicki, Erich Grüner, Riccardo Righetti und später Otto von der Wehl und Moritz Krynits. Als unvergessliche architektonische Werke bleiben Czernowitzern auch Kirchen Darstellungen von Josef Hlavka, Stanislaw Kobielski (Bisanz) (Armenische Kirche), Hugo von Rezori und Karl Adolf Romstorfer (Kirche in Horecza), Franz Emery, Rudolf Bernt, Franz Xaver Knapp (St. Paraskieva-Kirche, griechisch-orientalische Kathedrale), Jacob Eisenscher (Alte Synagoge) in Erinnerung.
Beliebt sind auch Motive der Czernowitzer Plätze, die in ihrer Rolle als Mitte des Stadtlebens während diverser Feierlichkeiten dargestellt werden. So auch in der informativen vielfigurigen Komposition des österreichischen Meisters der historischen Malerei Vinzenz Katzler „Die Festlichkeiten in Czernowitz“ (anlässlich der Eröffnung des Austria-Denkmals auf dem Austria Platz, heute Soborna Platz) und in der Arbeit von Johann Riebauer „Der Festzug zur Doppelfeier am 4. Oktober 1875“ (Festivitäten auf dem heutigen Zentralplatz aus dem Anlass des 100-jährigen Jubiläums der Eingliederung der Bukowina zu Österreich und der Gründung der Universität). Die fröhlich-romantische Stadtlandschaft von Tadeusz Popiel stellt das abendliche Czernowitz im Licht des Feuerwerkes dar. Das Bild dieses Meisters aus Lemberg „Empfang des Kronprinzen Rudolf bei der Ehrenpforte in Czernowitz“ (1877) ist dem im Titel genannten Ereignis gewidmet.
Die zentralen Plätze von Czernowitz waren auch die Orte, die Menschen während historischer Ereignisse des Ersten Weltkrieges anzogen. Diesem Thema sind mehrere Bilder gewidmet. Der Militärmaler F. Höllerer wurde durch seine Serie von Postkarten für das österreichische Rote Kreuz bekannt. Zu den zahlreichen Kampfszenen mit den Siegesdarstellungen des österreichischen Heeres gehört auch eine Komposition mit der Unterschrift des Künstlers (“FH”), die den Einmarsch der österreichischen Kavallerie auf dem Zentralplatz thematisiert („Einzug unserer Truppen in Czernowitz“, Postkarte von 1915). An diese Zeit erinnert auch eine rare Lithografie mit der Signatur des Autors, die die zerstörte Eisenbahnbrücke über Pruth in Czernowitz zeigt. Es stellte sich heraus, dass der ungarische Maler 18 und Autor gleichartige Darstellungen von 18 weiteren zerstörten Brücken von Béla Kron zeichnete. Das Bild sehen wir auf einer Postkarte von 1914, einer der vielen patriotischen Postkarten, für die Bilder von Frontmalern verwendet wurden.
In Friedenszeiten war der Zentralplatz ein beliebter Ort für Spaziergänge und Geschäftstreffen. Nach den Arbeiten vom Ende des 19. Jahrhunderts zeigten auch spätere Landschaften von Czernowitz Elemente der Stadtkultur. Das Äußere von Stadtbewohnern, ihre Unterhaltungen, Gestik und Umgangsformen hielten markante Kriterien ihrer Lebensgeschichten fest und wurden von Künstlern gerne und genau wiedergegeben. Eine solche Ausführung bietet der Czernowitzer Berthold Klinghofer in seiner Arbeit „Czernowitz. Ringplatz“ (1911). Dieses Werk mit der Signatur des Autors wurde in einer Kopie von Viktor Volkov 2005 wiederholt, wobei der Vordergrund verändert und einige neuen Figuren, z.B. eine Frau mit Kind, hinzugefügt wurden. In den 1920er und 1930er Jahren verstärkte sich das Interesse an urbanen Motiven mit den Bewohnern von Czernowitz.
So bekommen wir beispielsweise in den Werken von Isiu Schärf, Jacob Eisenscher, Riccardo Righetti oder Karl Ewald Olszewski die einmalige Atmosphäre zu spüren, in der verschiedenen Bevölkerungsschichten damals lebten. Eines der Lieblingsthemen waren Märkte. In diesen Kompositionen wurden Szenen nachgezeichnet, welche die für Czernowitz charakteristische ethnische Vielfalt erkennbar machen. Verliebt in das lebhafte Treiben der Menschenmenge erzählt Oskar Laske in seiner Serie von Stadtporträts über die Bewohner von Czernowitz. Besonders deutlich sind sein Können und seine Beobachtungsgabe in den Aquarelln mit malerischen Darstellungen von belebten Marktplätzen zu spüren, denen der Künstler mit dem ihm eigenen Humor auf expressive Weise einen witzigen und manchmal satirischen Charakter verleiht („Czernowitz. Unirea-Platz mit Rathaus“, „Jüdischer Tempel in Czernowitz“, „Rathausplatz von Czernowitz“).
Dieses Thema finden wir in Werken von Julius Zuber, Karol Mlodnicki, Ladislaus Żurkowski und Eugen Maximowicz. Georg Löwendal setzte es in seiner Serie von Genrebildern mit den Skizzen der Stadtmärkte samt einprägsamen Porträts der Bewohner der Stadt und ihrer Umgebung fort. Mit den meisterhaften kubistischen Kompositionen der grotesk anmutenden Wandmalerei im Kaffeehaus „Astoria“ bringt Georg Löwendal neue Facetten in die Darstellung der Eigentümlichkeit der Stadt und der Freizeit ihrer Bewohner ein.
In der modernen Kunst des beginnenden 20. Jahrhunderts sticht das Thema der Architektur auch in der Grafik von Leon Kopelman „Eislaufplatz in Czernowitz“ sowie in der stilistisch raffinierten Arbeit von Artur Kolnik „Czernowitz. Stadtmotiv“ (um 1922) heraus, deren urbane Landschaften eine so verblüffende wie wertvolle Seite ihrer Malerei darstellen.

Papier, Aquarell auf Lithografie
Einen traurigen Widerhall in der Czernowitzer Stadtlandschaft fand der Zweite Weltkrieg, dessen Beginn im Bild des Zeitzeugen dieser Ereignisse Arno Ed „Tempel in Brand“ festgehalten wird. Kurz darauf wurde der Maler mit seiner ganzen Familie im Ghetto eingesperrt und später in einem Konzentrationslager Transnistriens gequält. Eines der ergreifenden Werke zu diesem Thema stellt die Komposition von Arnold Daghani dar, die vor der Deportation seiner Familie in das Lager Michajlovka 1942 entstand. Bemerkenswert ist die bildliche Interpretation der Ereignisse in der Stadt durch ihre Einbettung in einen Innenraum: Der Künstler stellt seine Frau in einer Wohnung dar, wo sie angespannt aus dem Fenster schaut. Die intensive Ausdruckskraft der Frauengestalt betont wirkungsvoll ihre Besorgnis und ihr akutes Gefühl der drohenden Gefahr auf den Straßen von Czernowitz. Durch einen solchen Bildaufbau mit dem Innenraum gelingt es dem Künstler, den Vordergrund zu veranschaulichen, vor dem die tragischen Ereignisse in der Stadt stattfanden. Dieses nur scheinbar einen Innenraum darstellende Bild kennzeichnet nicht nur Veränderungen im Privatleben seines Autors, sondern auch grundlegende Brüche im Leben der Stadt und ihrer Bewohner. Dramatische historische Wendungen trugen zu weiteren Veränderungen des Stadtbildes bei.
Zwei Jahre später entstand das Bild „Einmarsch der Roten Armee in Czernowitz“ des Czernowitzer Malers Kornelij Dzerzhyk. Diese Stadtlandschaft war eines der ersten Werke historisch-militärischer Ausrichtung der damaligen Zeit, überladen mit dem sowjetischen Pathos. Gleichzeitig setzte Leon Kopelman in den 1940er Jahren die urbane Thematik kontinuierlich fort. Zu bemerken ist, dass es einige von ihm dargestellte Bauten aus der Vorkriegszeit nicht mehr gibt, zum Beispiel die Evangelische Kirche. In den zahlreichen Darstellungen schenkte der Künstler seine Aufmerksamkeit nicht nur den alten Baudenkmälern, sondern auch den morschen Bauernhäusern und Bruchbauten am Stadtrand 19 (Aquarell und Öl). Seine Malweise änderte sich: Expressive Form und Stilisierung wurden von der realistischen, durch bedächtige Lässigkeit gekennzeichneten Wiedergabe der städtischen Umgebung abgelöst. Landschaften dieser Art und spätere Hinwendung des Malers zu den mit dem SStadtbild abgestimmten Interieurs trugen die Zeichen der Zeit in sich und boten Zuflucht von der Arbeit an thematischen Bildern.
Die Kunst allgemein war damals immer stärker ideologisch beeinflusst. Die Epoche des ‚sozialistischen Realismus‘ brach an, auch im Bereich der Architekturlandschaft. Bezeichnend für diese Periode ist das in charakteristischen, pathetisch-munteren Tönen gehaltene Panorama von Czernowitz aus dem Jahr 1951 („Nach dem Regen“). Dieses Bild von Mykola Sowjetow wurde zu einer der ersten uns bekannten Ansichten vom Czernowitz der Nachkriegszeit, die die Tradition des 19. Jahrhunderts fortsetzten. Die urbanistische Malerei des ‚sozialistischen Realismus‘ wurde verstärkt durch die politische Realität jener Zeit geprägt. Auf diese Weise wurde das Interesse an Themen wie Industrielandschaften, Neubauten und Erholung der Werktätigen erklärt. Diese Themen finden sich insbesondere in den Werken von Sergij Chochalev, Leon Kopelman, Mychajlo Vilkov, Mykola Bondarenko und später von Valerij Kozlov und anderen Künstlern, die im System des sogenannten Bilderfonds tätig waren, von wo sie Aufträge bekamen.
Klarerweise konnte die Landschaftsmalerei nicht mit solchen patriotischen gesellschaftlichen Themen wie Lenin oder Revolutionsgeschichte konkurrieren. In den ersten Nachkriegsjahren war das Ansehen der Urbanisten unter den Malern nicht besonders hoch und ihre Arbeit stieß auf kein Wohlwollen. Gleichzeitig waren Gebirgslandschaften der Bukowina in den Werken von Moritz Krynits, Beklemischew, Elaida Neuman und Odarka Kyselytsja, Tschudinov, Volodymyr Sanzharov, Mischyn, und Mykola Bondarenko in Landesausstellungen immer präsent. Aber auch diese ideologisch neutralen Arbeiten wurden besonders in den 1950er bis 1980er Jahren mit wirtschaftlichen oder militärischen Themen pathetisch überladen.
Mit der Zeit änderte sich auch das architektonische Antlitz von Czernowitz, das durch die veränderte Lebensweise seiner Bewohner neue Züge erhielt. Das betrifft vor allem die Neubauten außerhalb der Stadtmitte. Die historische Altstadt blieb jedoch bei den Künstlern der Sowjetzeit ein beliebtes Motiv. Es eröffnete nicht nur die Möglichkeit, emotionale Empfindungen der Stadt darzustellen (Grigorij Vasiagin, Rudolf Lekalov, Volodymyr Symaschkewytsch, später Ivan Klets), sondern bot auch Gelegenheit zur künstlerischen Auseinandersetzung mit der Form. Äußerst klarer Stil, durch dynamische einzelne Pinselstriche entstehende Oberflächenstruktur, offene farbliche Lösung und Zierlichkeit kennzeichnen Stadtbilder solcher Künstler wie Elaida Neuman (Reihe „Meine Stadt“) und Moritz Krynits („Türkenbrücke“, „Gasse“).
In den 1960er und 1970er Jahren arbeitete in Czernowitz der Maler Jewgen Udin. Seine Arbeiten im Bereich der Landschaftsmalerei gewinnen immer mehr an Bedeutung als historische Dokumente. Die zahlreichen Zeichnungen neuer Stadtbezirke und Straßenszenen werden durch große Liebe zum Detail charakterisiert. Seine gefühlvollen Stadtpanoramen und architektonischen Kompositionen mit Darstellungen traditioneller historischer Bauten von Czernowitz stellen wertvolle künstlerische Beiträge dar. In seinen Erinnerungen beschreibt der Künstler ein Detail, dass für die Zeit des autoritären Regimes typisch war: Künstler, die auf den Straßen der Stadt nach der Natur malten, fielen auf und mussten Fragen der Polizei beantworten. Nach einigen solchen Befragungen war Jewgen Udin gezwungen, sich einen offiziellen Ausweis eines freischaffenden Mitarbeiters der Zeitung „Radjanska Bukowyna“ („Sowjetische Bukowina“) zu besorgen. In dieser Zeitung wurden oft zeitgenössische Bilder von Czernowitz seines Bruders Jurij Udin sowie eines anderen Künstlers, Mychajlo Moldovan, veröffentlicht. Diese Bilder stellen eine wichtige Quelle für das Studium der damaligen Landschaftsmalerei der Stadt dar.
Darüber hinaus entstand eine Reihe interessanter Arbeiten in den Werkstätten von jungen Künstlern: Volodymyr Symaschkewytsch, Oleksandr Litvinov, Josef Minskyj und andere. Für ihre Landschaften waren vereinfachte Stilformen und klare Verzierungen charakteristisch.

Bronislav Tutelman (geb. 1950), Czernowitz Weisse Landschaft
(Aus dem Zyklus “Nicht kommunikationsfreudige Städte”) 1984, Leinwand
Die innovativen Werke von Shimon Okschtejn, Bronislav Tutelman, Petro Hrytsyk hielten keinen Einzug in die Ausstellungen, da ihr weltanschauliches Konzept nicht in den allgemeinen Rahmen der offiziellen Kunst des damaligen brutalen Zwangssystems hineinpasste. Die Stadtansichten bekamen in ihren Werken einen besonderen Touch. Bei Okschtejn bildet Czernowitz einen außergewöhnlichen urbanen Raum mit unnachahmlichem Inneren und eigenem Geist. Der in der Stadt fest verwurzelte Maler Bronislav Tutelman präsentiert 20 seine künstlerische Identität mit Erinnerungsmetaphern und Abbildungen von Motiven, die im Verschwinden begriffenen sind. Mit der Zeit veränderte sich Tutelmans künstlerische Ausdrucksweise von malerisch-expressiven Darstellungen seiner Lieblingsmotive mit den Straßenbahnen von Czernowitz bis zu assoziativen Linienkompositionen mit überkreuzten Pfeilern, Drähten, Pflastern und Röhren etc.
Verblüffend ehrlich ist in seinem Schaffen Oleksandr Weißmann, dessen urbaner Malerei epischer Charakter und starke Beobachtungsgabe eigen sind. Einige seiner Bilderreihen sind von nostalgischen Tönen und Gefühlen der Wärme zu seinem Czernowitz erfüllt. Petro Hrytsyk vermittelt seine Beziehung zur Stadt und somit zum damals vorherrschenden ideologischen Diktat durch Auseinandersetzung mit den Interieurs geschlossener Räume, wo der Bezug zu Ort und Zeit verloren geht. Ein Beispiel dafür ist das im dichten Grün gehaltene Bild im Bild „In der Malerwerkstatt“ (1974). Das Fenster stellt hier eine Grenze zwischen seiner persönlichen Welt und Czernowitz mit seiner ihm gegenüber feindlich eingestellten Gegenwelt der Ablehnung und Verständnislosigkeit dar. Die Aussicht hinter der Fensterscheibe ist kaum wahrnehmbar. Diese Komposition mit der Horizontlinie wird auf der gerahmten Leinwand wiederholt, die daneben am Boden liegt. Somit erhält die auf diese Weise markierte imaginäre Landschaft hinter dem Fenster im Zusammenhang mit der gleichen Darstellung auf der Leinwand eine symbolisch-konzeptuelle Bedeutung.
In den 1970er Jahren entstanden erste Werke des zeitgenössischen Künstlers Orest Kryworutschko, der im Laufe der letzten Jahrzehnte mehrere interessante Arbeiten im Bereich der urbanen Landschaftsmalerei schuf. Filigrane Kompositionen und Bilder einzelner Baudenkmäler helfen, seine Sicht der Stadt besser zu verstehen. Grafik und urbane Malerei dieses Ausnahmetalentes stellen eine unvergleichliche Chronik des architektonischen Antlitzes von Czernowitz und seiner besonderen Ausstrahlung dar, wozu der Maler selbst einiges beigetragen hat. Das Oeuvre von Orest Kryworutschko, sein sensibler Umgang mit den Bauwerken und mit dem kulturellen Erbe der Stadt bereichert im besonderen Masse das Genre der Stadtlandschaften durch die künstlerische Auseinandersetzung mit der Blütezeit und mit der Gegenwart von Czernowitz.
Das einzigartige Klima der Czernowitzer Architektur zieht nicht nur die Stadtbewohner, sondern auch Künstler aus anderen Städten und Ländern in seinen Bann. Im Laufe der Geschichte entwickelte sich eine lange und feste Tradition, die Stadt am Pruth zu besuchen, um sich beim Spazieren Inspiration für die eigene Arbeit zu holen. Besonders gerne besuchen Maler Czernowitz anlässlich traditioneller Kunsttreffen.
In den 2010er Jahren nahmen an solchen Treffen Maler aus mehr als zwölf Städten der Ukraine teil. In Erinnerung bleiben Werke von Bohdan Makarenko, Valerij Kozub, Wira Warwjanska, Andrij Koptschak, Natalia Lissova, Kateryna Rudakova, Anna Suscharnyk, die einen wichtigen Beitrag zur Czernowitzer Urbanistik leisten.
Mit Nostalgie denken an die Stadt Künstler zurück, die derzeit woanders leben, wie z.B. Marysja Rudska aus Kyiv oder Anna Rosenblat und Merle Kastner aus Kanada. Gleichzeitig werden Stimmen von digitalen Künstlern immer lauter, die zeitgenössische Kunstformen entwickeln. Czernowitzer Landschaften von Midori Harada aus Japan und Valentyn Bukovynets aus Russland strahlen lebhaftes Interesse und Begeisterung für die Stadt aus.

Papier, Aquarell
Die Darstellung von Czernowitz ist auch eines der wichtigen Themen von Oleg Lubkiwskij. In seiner aktuellen Bilderreihe bringt der Autor seine Sorge um die Veränderungen in der ehemaligen Hauptstadt der Bukowina zum Ausdruck, die dazu führen können, dass die Stadt zu einer provinziellen Ruine wird. Der Stadtgeist in den Werken von Lubkiwskij wird durch die hyperrealistischen Detaildarstellungen von durch Zeit und Menschen entstellten Verzierungen, verzerrten österreichischen Haustoren, Zäunen und Keramikfliesen reflektiert. Der Künstler verschärft den Blick auf die Problematik durch eine gehörige Portion an Ironie, mit der Widersprüche zwischen dem heutigen Zustand der Bauten und ihrem ursprünglichen Aussehen betont werden. Die Visualisierung dieser Widersprüche scheint für den Künstler ein Mittel zu sein, um sowohl seiner Besorgtheit um das Erscheinungsbild der Stadt Ausdruck zu verleihen, als auch die Marginalisierung des Stadtraumes zu überwinden.
Czernowitzer Urbanisten von heute haben ein eigenes Kunstverständnis. Sergij Kolisnyk pflegt auf interessante Art und Weise den Stadtmythos. Seine Temperabilder mit verhaltener Farbenpalette präsentieren ungewöhnliche Facetten von Czernowitz. Konzentriert, fokussiert auf das Wesentlichste, zeigt der Künstler die verborgene stille Stadt in ihrer manchmal mystischen Distanziertheit. In einigen zeitgenössischen Darstellungen der Lieblingsplätze und -straßen von Künstlern mit Wohnhäusern und Sakralbauten werden ihre 21 lyrischen Gefühle zum Ausdruck gebracht. So wird das Gelände der Universität und ihrer Bauten bei Anatolij Lymar als ein Ort dargestellt, wo Czernowitzer Kinder rodeln und der für das ganze Leben als ein Platz wunderbarer Kindheitserinnerungen im Gedächtnis bleibt.
In der poetischen Interpretation von Ivan Balan erscheinen die das Stadtbild beherrschenden Bauten als eine gerade weiße Säule an der Kapelle des Hl. Johannes („Herbstelegie“). Ihor Jurjev schafft klare architektonische Bilder auf expressive und temperamentvolle Weise, die für sein künstlerisches Schaffen typisch ist. Weiche Umrisse des Theaters für Musik und Drama stehen im Kontrast zur Größe der Kathedrale des Heiligen Geistes, deren massive Details mit plastischen Spachtelstrichen geformt sind.
Dank ihrer Vorstellungskraft schaffen Gennadij Horbatyj, Olexandr Harmider, Ludmyla Bohdan und Olena Mychajlenko spannende Stadtbilder mit urbanen Strukturen von unbegreiflicher Lebensenergie. Das symbolische Gesamtbild von Czernowitz bekommt spannende Facetten in den Werken von Orest Kryworutschko (Skizze zur Wandmalerei „Stadt“), Valerij Ionizoj (Platte „Czernowitz“), Sergij Majdukov („Czernowitz. Die beste ukrainische Stadt 2008“) und Alexander von Reden (Grafikreihe Baudenkmäler).
Ende des 20. bis Anfang des 21. Jahrhunderts wenden sich Czernowitzer Künstler ganz in alter Tradition dem Stimmungsbild der Stadt mit verschiedenen Straßenszenen, Gruppen von Stadtbewohnern, Verkehrsmitteln, Stillleben-Elementen, Porträts, Interieurs und Landschaften hin. Parks bilden aufregende ästhetische Elemente des Stadtbildes und schaffen emotionalen Ausgleich durch die Darstellung der Natur. Dieses Thema kommt in den Werken verschiedener Epochen vor: von Franz Xaver Knapp und Antoni Stefanowicz im 19. Jahrhundert bis Grigorij Vasiagin („Allee“), Valerij Hnatjuk („Czernowitz. Die Olga-Kobylianska-Strasse“) und Volodymyr Krasnov („Hlavka-Denkmal im Park der Universität von Czernowitz“) in den 2000er Jahren. In einem Werk von Jakiv Hnizdovskij wird die Stadt als ein Raum des menschlichen Daseins präsentiert, in den eine Menschenseele geraten ist, deren trauriges Aussehen auf die innere Welt dieses Menschen hinweist („Porträt eines Unbekannten“, 2003).
Straßenkreuzungen sind belebt bei Anatolij Lymar und märchenhaft bei Oleksandr Harmider. Czernowitzer Innenhöfe und Dächer von Volodymyr Sanzharov, Ivan Klets, Orest Kryworutschko, Borys Schebrjakov, Maryna Rybatschuk, Ihor Chilko, Oleksandr Litvinov, Natalija Jarmoltschuk, Oleksij Karlow und Olga Karlowa, Valerij Kozub und Bohdan Makarenko sowie Fenster- und Balkonausblicke von Amir Chalikov sind von Kindheit an vertraut und strahlen häusliche Wärme aus.

картон, олія 2010, Pappe, Öl
Auch heute bleibt das Stadtpanorama ein beliebtes Motiv, das die künstlerische Fantasie schon seit über 200 Jahren anregt. Darin äußert sich eine breite Gefühlspalette der Bewunderung und des Stolzes auf die Heimatstadt. Diese Kompositionen stellen unvergleichbar tiefe Sinnbilder dar, die bei vielen zeitgenössischen Künstlern der Stadt in ihrer Einmaligkeit zu beobachten sind, z.B. bei Orest Kryworutschko, Ivan Balan, Ihor Chilko, Olexandr Harmider, sowie Gennadij Horbatyj (derzeit in Deutschland tätig), Konstantin Flondor (Rumänien) und Bohdan Makarenko (Kyiv).
Für Kenner des Stadtpanoramas wird die Landschaft von David Margulis aus Israel zu einer interessanten Erfahrung. Seine Komposition besteht aus historisch getreuen Darstellungen einiger verschwundener Bauten zusammen mit der Gesamtansicht der Stadt aus der Luft („Czernowitz 1911. Ansicht von der Postgasse“). Dieses Werk mit auffallender Klarheit wurde 2013 von Viktor Volkov aus dem russischen Magnitohorsk (lebt heute in Israel) geschaffen.
„Meine Stadt“ von Artem Prysiazhnjuk – eine malerische Landschaft mit charakteristischen Umrissen – ist ein weiterer Edelstein in der Schatztruhe der Czernowitzer Urbanistik. Wie aus einem Guss ragen Baudenkmäler in der dekorativen Komposition des Künstlers im zarten Licht des lasursilbernen Sonnenaufganges empor. Das Leben der Menschen ist von der majestätischen Stadt namens Czernowitz zärtlich umhüllt. Dieses Bild markiert gemeinsam mit den anderen zeitgenössischen Werken einen würdigen Übergang in das nächste Jahrhundert der Landschaftsmalerei von Czernowitz. Wir hoffen, dass dieser Band mit seinen malerischen Darstellungen der ewigen Augenblicke von Czernowitz einen Beitrag für die weitere Entwicklung der Stadtmalerei leisten und zahlreiche Künstler und Kunstkenner inspirieren wird.
Tetyana Dugaeva
Kunstwissenschaftlerin Mitglied des Nationalen Malerverbandes der Ukraine
Übersetzung aus dem Ukrainischen von Vitali Bodnar

Der 1950 in Czernowitz geborene Künstler Oleg Lubkiwskij ist mit vier Aqarellen im Kunstalbum abgebildet. Im Oktober 2013 hatte ich im Rahmen der Bruno Schulz Tage eine Ausstellung von Oleg Lubkiwskij in Czernowitz besucht. Im Mai 2023 hatte er im KunstRaumRhein in Dornach über Vermittlung von Judith Schifferle die Ausstellung SPIEGELUNGEN - KONZEPTUELLE UTOPIEN mit 27 Werken.
Anfang Juni 2023 erhielt ich den Ausstellungskatalog vom Künstler direkt aus Czernowitz - mit Widmung - nach Prag gesandt. Oleg Liubkiwsky ist in seiner ukrainischischen Heimat ein mehrfach ausgezeichneter Künstler, gestaltet Fresken und Denkmäler. Für das Buch In-Ex-Terieur Czernowitz hat er den Umschlag gestaltet. Sein Schaffen beschreibt er als "künstlerische Widerspiegelungen einer Wirklichkeit, wie sie in meiner Vorstellung, meinen Ideen, meiner sinnlichen Erfahrungswelt und der Fantasie lebt".
Der 1950 in Czernowitz geborene Künstler Bronislav Tutelman ist mit sieben Bildern in dem Kunstalbum vertreten. Ich traf
Bronislav Tutelman im November 2013: Er sprach Jiddisch mit ukrainischem Einschlag, ich ein Gemisch aus Österreich-Tschechisch. "Meine Religion ist die Kunst", erzählte er mir. Er hat mich in seine Wohnung eingeladen, wo u.a. das Foto links entstand.
КУДА СМОТРЕЛ КАФКА. Черновицкие истории. Раз, лет сто с небольшим назад) произошла удивительная перекличка между...Gepostet von Sergei Vorontsov am Sonntag, 30. August 2020