Wert und Preis der Menschenrechte

Václav Havel Menschenrechtskonferenz 2017

Zantovsky, HavelDer Václav Havel Menschenrechtspreis wird seit 2013 jedes Jahr von der Parlamentarischen Versammlung in Partnerschaft mit der Václav Havel Bibliothek und der Stiftung Charta 77 vergeben, um herausragende zivilgesellschaftliche Maßnahmen zur Verteidigung der Menschenrechte in Europa zu würdigen. Nominierungen von Einzelpersonen, nichtstaatlichen Organisationen oder Institutionen, die sich für die Verteidigung der Menschenrechte einsetzen, werden berücksichtigt. Der Preis ist mit 60.000 €, einer Trophäe und einem Diplom dotiert und wird in Erinnerung an Václav Havel, Dramatiker, Gegner des Totalitarismus, Architekt der Samtenen Revolution von 1989, Präsident der Tschechoslowakei und der Tschechischen Republik, als Symbol der Opposition gegen den Despotismus verliehen.

2017 ging der Preis an Murat Arslan, dem ehemaligen Berichterstatter des türkischen Verfassungsgerichts und Präsident des jetzt aufgelösten Vereins für Richter und Staatsanwälte (YARSAV). Murat Arslan sitzt seit Oktober 2016 in der Türkei im Gefängnis. Die beiden anderen Kandidaten, die in die engere Wahl gekommen sind - das ungarische Helsinki-Komitee, eine NGO, die sich insbesondere auf den Zugang zur Justiz und die Rechte von Asylsuchenden und Flüchtlingen konzentriert, und Pater Georg Sporschill (Österreich), ein Jesuit, der seit dem Fall des eisernen Vorhangs Straßenkinder in Rumänien, Bulgarien und Moldawien betreut. Bekannt gegeben wird der Preisträger im Oktober in Straßburg, dem folgt anschließend die Konferenz in Prag.

In seiner Eröffnungsansprache stellte Michael Žantovský, geschäftsführender Direktor der Havel Bibliothek, tschechischer Diplomat und Politiker, Schriftsteller und Übersetzer, die Frage nach dem zu zahlenden Preis für die Verteidigung der Menschenrechte versus Sicherheit, Wohlstand, Demokratie, in den Mittelpunkt.

Murat ArslanIn der Vorstellungsrunde der drei Finalisten fehlte der in der Türkei inhaftierte Murat Arslan, an seiner Stelle sprach Christopher Régnard, Präsident der Internationalen Richtervereinigung, ein Befürworter der freien, unabhängigen Justiz. Bezugnehmend auf einem aus dem Gefängnis geschmuggelten Brief des Preisträgers wies Régnard darauf hin, dass die Abschaffung der Demokratie in der Türkei 2006 einsetzte, sich 2013 verschärfte als Richter, Staatsanwälte, Rechtsanwälte die mit den Korruptionsvorwürfen gegen die Regierung Erdoğan betraut waren, abgesetzt und inhaftiert wurden. Seit dem Putschversuch im Juli 2016 hat der vom Präsidenten angeordnete Ausnahmezustand die Unabhängigkeit der Rechtsprechung abgesetzt, freie Journalisten und Mitglieder von Menschenrechtsorganisationen werden inhaftiert oder daran gehindert, ihre Tätigkeiten auszuüben. Im Wiederaufleben eines weltweiten Nationalismus, der die Interessen des eigenen Staates über die der Menschenrechte stellt, sieht Régnard jenen Hauptgrund, der es Erdoğan ermöglicht, einen einstmals demokratischen in einen diktatorischen Staat umzuwandeln - bestätigt durch die stumme Zustimmung jener Staaten die vom im März 2016 abgeschlossenen Abkommen der EU mit der Türkei profitieren, welches den Zustrom der Flüchtenden aus den Kriegsgebieten reguliert.

Georg SporschillVater Georg Sporschill, der seit der Öffnung des Eisernen Vorhangs mitten unter Straßenkindern lebt, verweist auf die geschätzten 12 Millionen Romas, die in Europa leben. Es gibt unzählige Organisationen, die darüber diskutieren, bei ihm steht das Zusammenleben, die Gespräche, die Arbeit - mit ihnen - im Vordergrund. Auf Havel verweisend sieht er den Umgang mit Romas und Flüchtenden als den Lackmustest für das soziale Gewissen unserer heutigen Gesellschaft. Er bezieht die Energie seines jahrzehntelangen Engagements aus der direkten Auseinandersetzung mit seinen Schützlingen.  Straßenkinder  von einst, sind in seine Fußstapfen getreten, setzen sein Werk fort. Er blickt, trotz zahlreichen Schwierigkeiten und Missständen im Sinne des Talmud-Zitats "Wer ein Leben rettet, rettet die ganze Welt", optimistisch in die Zukunft.


D
er dritte Finalist, Balász Tóth, Journalist und Rechtsanwalt, Vertreter des ungarischen Helsinki Komitees, setzt sich mit der Wahrung der Meinungsfreiheit in Ungarn auseinander. Die Situation vor Ort sei nicht vergleichbar mit jener in der Türkei oder in Russland. In Ungarn ist es möglich, persönlich eine Meinung frei zu äußern, doch Medien, die divers, investigativ berichten, werden entweder durch Orban nahe Kartelle aufgekauft oder wirtschaftlich ausgehungert, so dass sie eingestellt werden. Flüchtende, Romas, Juden, etc. werden als potentielle Gefahrenquelle für den Staat, Einschränkungen der Menschenrechte werden seitens der Regierung als sichernde Maßnahmen zum Schutz von Ungarn dargestellt. Schleichend und subtil wird die Meinungsbildung durch die Regierung gelenkt, einseitig beeinflusst.

Irwin CottlerDie Grundsatzrede von Irwin Cotler, ehemaliger Justizminister und Generalstaatsanwalt von Kanada, Menschenrechtsaktivist verwies auf die Weiterführung der geistigen Vermächtnisse von Elie Wiesel, Nelson Mandela und Václav Havel. Es ist wesentlich und wichtig sich nicht auf den bisherigen Errungenschaften der Menschenrechtsbewegung auszuruhen, sondern mutig und immer wieder aufs Neue, angepasst an die sich wandelnden Rahmenbedingungen der Gesellschaft, die Würde des einzelnen Menschen, unbesehen von Nation, Rasse, Religion und Geschlecht, in den Mittelpunkt zu stellen, denen beizustehen, deren Rechte eingeschränkt werden. Die Kriegsverbrechen die sich in den Augen der Weltöffentlichkeit abspielen: der Völkermord in Ruanda, der Bürgerkrieg in Syrien, der Rückkehr von totalitären Regimes weltweit zeugen davon dass jener Teil der Welt, der in Reichtum eingebettet ist zu einer ego konzentrierten Erwerbsgesellschaft geworden ist, dem Erhalt und Ausbau des eigenen Wohlstands wird alles untergeordnet.

Drei daran anschließende Diskussionsrunden versuchten aufzuschlüsseln, wer entscheidet und verantwortet den Wert der Menschenrechte gegenüber den Bedürfnissen nach Sicherheit und Wohlstand. Ist es gerechtfertigt im Namen der Sicherheit - aus Angst vor Terrorismus - die Freiheit einzuengen? Besteht ein angemessenes Gleichgewicht zwischen dem legitimen Ziel, die Zivilbevölkerung zu schützen, und dem Erhalt der Freiheit und Rechte, die im Zentrum der liberalen Demokratie stehen? Ausufernde Kontrolle hilft den wiedererstarkten nationalen Tendenzen, trägt jedoch nichts dazu bei, jene Ursachen aus denen Terrorismus entsteht zu beseitigen.

Geschäftsleute und Politiker zögern, die Probleme der Menschenrechte mit Regierungen und Geschäftspartnern im Ausland aufzudecken und Sanktionen gegen Regierungen anzuwenden, die Menschenrechte verletzen. Eine offene Debatte über Menschenrechte wird wegen wirtschaftlicher Interessen ausgeklammert, als Beispiel wird China angeführt. Dort hat eine sich ständig ausweitende internationale wirtschaftliche Zusammenarbeit zu keinerlei Verbesserungen der Menschenrechte innerhalb des Landes geführt. Exekutionen werden nach wie vor durchgeführt, sie werden nun besser verschwiegen, um das Gewissen der Wirtschaftspartner nicht zu belasten. Die verbesserte Außenhandelsbilanz hat für Staaten mehr Gewicht als die Fragen nach der Etablierung und der Einhaltung von Menschenrechten.

Der Schutz der universellen Menschenrechte gehört zu den Grundsätzen eines liberalen demokratischen Systems. Inwieweit können Menschenrechte ignoriert, vernachlässigt oder eingeschränkt werden, ohne den Kern des demokratischen Systems zu korrumpieren? Aung San Suu Kyi ist nach außen hin Regierungschefin, doch die kontrollierende und ausführende Macht im ehemaligen Burma, jetzigen Myanmar, liegt nach wie vor beim Militär. Roland Oliphant wies punkto Russland darauf hin, wie innerhalb von Russland über die Situation in der Welt und über das eigene Land berichtet wird. Putin ist es durch allein von seinen politischen Interessen gelenkten Medien gelungen, das Weltgeschehen so darzustellen, wie es seinen Intentionen entspricht. 

Karel SchwarzenbergIn seinen Schlussbemerkungen wies Karel Schwarzenberg, ehemaliger tschechischer Außenminister, ehemaliger Präsident der Internationalen Helsinki-Föderation für Menschenrechte, darauf hin, dass als Havel zur Samtenen Revolution aufrief, die Menschenrechte in Europa in Mode waren. Ein Vierteljahrhundert später feiert der Nationalismus Auferstehung. Nicht allein in der Türkei, auch innerhalb der Europäischen Union haben sich die Werte hinsichtlich Menschenrechtsfragen hin zu nationalen Egoismen verschoben. Innerhalb dieses Forums sind sich alle einig, dass die Werte der Menschenrechte nachhaltig verteidigt werden müssen, doch es geht darum, diese Botschaft über den kleinen Kreis der Engagierten in die Welt hinauszutragen, um den wiedererstarkten Nationalisten, die ihre Anhänger mit Ängsten gegen das Fremde füttern, Stirn zu bieten. Versäumen wir dies jetzt, könnten wir unversehens in einer vom Totalitarismus bestimmten Weltordnung aufwachen.

 

Milena Findeis, Prag, 12. Oktober 2017

 

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