Lebenskunst

Die Auseinandersetzung mit Kunst - für manche wird es schreibend, malend, filmend, fotografierend, singend, musizierend, schauspielernd zur Lebensform - angepasst an eine Zeit, Juli 2019, in der nahezu alles zum Event geworden ist.

Ich registriere, dass ich öfter meinen Lieblingsradiosender ausschalte: es wird zu Bewerben eingeladen, ein Hörstück, ein Musikstück maximal fünf Minuten sei abzuliefern, die besten werden öffentlich präsentiert. Die meisten der Diskussionen, Gespräche finden deshalb statt, weil die Diskutierenden gerade ein neues Buch auf den Markt gebracht haben, das dann die Hauptrolle in der beinahe einstündigen punkteins Sendung spielt.

Die Kreativität wird in der zivilisierten Welt in den Mittelpunkt gestellt und wenn es ein Flüchtender geschafft hat, in ein Gespräch über die Vielfalt der Kulturen einzubezogen werden, dann feiern sich alle. Outet sich jemand, hin zum eigenen Geschlecht, bekennt vernehmlich, Opfer zu sein, noch immer oder schon wieder zu rauchen, eine einzige große Liebe sein eigen zu nennen, ist das Anlass zu einer Feier, wie runde Geburtstage, die Verlobung, die Hochzeit, die Taufe und dafür gibt es Firmen, die all das zu einem einzigartigen Event machen, die Vielfalt dieses Angebots wird dann in Form einer Messe, eines Wettbewerbs, einer Fernsehserie gezeigt. Für den Fall, dass sich zuviel angesammelt hat, gibt es Firmen, die entsorgen, aufräumen. Angeraten sind Experten für Ernährung, Bewegung, Bekleidung, Innenausstattung, Freizeit, dem Ruhestand, das Sterben. Unterstützt von Fragebögen, Apps und Bändern, die das registrieren, verrechnen.

Darüber wird online in sozialen Medien, Foren, Buch geführt, begleitet von Fotos, die dokumentieren wie einfallsreich der Tag, die Nacht, der Urlaub verbracht worden ist. Essen und Konsumieren. Von günstigen bis hochexklusiven Angeboten.

Jene die am Rand stehen, Arbeitslose und Obdachlose haben ihr eigenes Magazin, das sie - wenn sie sich an vorgegebene Gebote halten - verkaufen dürfen.

Ich bin in Ausstellungen gewesen, bei denen ich mir dachte, das hätte ich besser, lebendiger an einer Baustelle sehen können. Seit dem nehme ich Baustellen bewusster wahr und erspare mir die eine odere andere Ausstellung.

Museen stehen hoch im Kurs. In manchen sind die Tickets voraus zu bestellen und es gibt ähnlich wie im Flugverkehr Slots, es wird berechnet, wie lange die Verweilzeit vor einem Exponat ist, frau wird vorbeigeschleust - mitten in einer internationalen Masse - bestückt mit einem Kopfhörer.

Der Freiraum fürs Leben wird mehr und mehr eingeschränkt: der Wald, die Wiese wird zum Sportplatz. Freundschaftsdienste werden auf eine Plattform gestellt, vermarktet, die am schnellsten wachsende Angebotskette. Rar sind Freunde, die ohne Hashtags ihr Auskommen finden, die behalte ich - für die Zweisamkeit.

Ein in Stille verbrachter Tag, das von Angesicht zu Angesicht geführte Gespräch, das von keiner App aufgezeichnet, unterbrochen wird, was für ein Luxus: dafür immer wieder und öfter ins Offline zu gehen, es einfach tun, darin besteht für mich Lebenskunst.

 

Prag, 14. Juli 2019, Milena Findeis, Augnerin

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