Drahomíra_Navrátilová

Drahomíra Navrátilová, 18.5.1931 - 17.4.2020

Sie, lieb verehrte Dada waren mir Stütze, Zuflucht, Hilfe. Danke, ich wünsche Ihnen gutes Heimkehren!

Heute hat nach langer Zeit wieder einmal die Postbotin geklingelt, ich lief runter mit Maske. Nahm die Post entgegen. Erkannte Ihre Handschrift auf dem Kuvert, der schwarze senkrechte Strich ließ eine Ahnung hochsteigen. Ich dankte der Postbotin, verschwand ins Innere, öffnete den Brief und entnahm diesem eine Pate. So hatten Sie, Dada, mich in Ihr Leben einbezogen, dass Sie dieses Kuvert für mich selber - vor Ihrem Ableben - geschrieben hatten. Im April 1991, gerade in Prag angekommen, suchte ich eine Hilfe, für das Leben in Prag. Sie wurden mir genannt, vorgestellt und ich überreichte Ihnen den Schlüssel für die erste Wohnung in Prag. Miteinander sprachen wir Tschechisch, Ihr Gatte, der ein gutes Deutsch gesprochen hat, übersetzte manchmal, wenn ich im Tschechischen nicht die richtigen Worte fand.

Sie waren geschickt, in all dem, was ich nicht konnte: kochen, bügeln, nähen, Kindererziehung, Gartenarbeit um nur die wichtigsten Ihrer Fertigkeiten zu nennen. Die ersten drei Umzüge in Prag haben Sie für mich abgewickelt. Sie haben mich am Heiligen Abend 1992 gesucht und als ich am 27. Dezember zurück in die Wohnung, mit dem frisch geborenen Kind, kam, haben Sie mir gezeigt, welche Handgriffe wichtig sind beim Wickeln, Baden, Füttern. Sie nahmen das Kind unter Ihre Obhut wie die vier  eigenenTöchter, sechs Enkelkinder und zehn Großenkeln. Aus Achtung, bei aller Vertrautheit, bleiben wir im Gespräch beim "Sie".

Adé Dada
Adé Dada

Wenn ich Besuch erwartete, informierte ich Sie und Sie kochten! Meine Eltern schwärmten wie andere von Ihrem Gulasch, den Suppen, den von Ihnen gebackenen Mehlspeisen. Als ich dann schon wieder alleine, das Kind selbständig geworden, lebte und ich das eine oder andere von Ihnen gelernt hatte, brachte ich es nicht übers Herz, Ihnen zu sagen, dass ich es jetzt allein schaffe die Hausarbeit etc. Erst als Sie, vor einigen Jahren sagten, Sie würden sich zurückziehen war das in Ordnung für mich, nach einem Vierteljahrhundert.

Sie sind für mich in all den Jahren zum Vorbild geworden. Pünktlich, elegant und unterstützend liebevoll wie taktvoll in all den Jahren. Danach besuchten wir einander, erzählten uns aus unserem Leben. Ihr letzter handgeschriebener Brief aus dem Dezember 2019 liegt vor mir, danach haben wir noch das eine oder andere Mal telefoniert. Sie waren tapfer, haben sich von Ihrer Krankheit nicht unterkriegen lassen, so wie Sie zuvor gegen all die Widernissen in Ihrem Leben gekämpft haben. Leicht haben Sie es nicht gehabt, aber mir ist nicht in Erinnerung, Sie jammern gehört zu haben, da war immer etwas Kraftvolles nach vorwärts Gerichtetes in Ihrem Wirken. 

Mein Herz umarmt Sie dankend. Diese Dankbarkeit wärmt die Tränen, ich werde Sie - zeitlebens - in Erinnerung behalten und versuchen, einen Teil dessen, was ich durch Sie gelernt habe, fortzuführen.

 

Prag, 21. April 2020, Milena

Mit drei roten Rosen mit der Straßenbahn am 24.4., dem ersten Tag seit 16.3. mit Bewegungsfreiheit in Prag, zum Krematorium Motol gefahren. Den ersten Teil fuhr Honza mit, in Arbeitsmontur, er musste zur Arbeit auf den Hauptbahnhof. Die Straßenbahn zur Hälfte leer, alle tragen Masken. Sonne, Frühlingsbrise, die Moldau voller Tretboote, Eis, Kaffee, Essen wird an Fenstern verkauft. Die Wehmut schärft die Wahrnehmung, Herzweh durchwandert die Erinnerung. Nach einer Fahrstunde vor dem Krematorium. Der Anschlag zeigt für den heutigen Tag, fünf Verabschiedungen an - ab 10.15 Uhr im Stundentakt. Am 29. Dezember 2011 wurde dort Hana verabschiedet. Ich wandere stillen Wegen entlang, Vögelgezwitscher rundum. Um 14.10 Uhr öffnet ein Bediensteter des Bestattungsunternehmen die Tür, bittet die Masken nicht abzunehmen, die Blumen vor den Sarg zu legen und sich in das Kondolenzbuch einzutragen. Als einzige Nicht-Familienangehörige warte ich zu, bis die drei Töchter (die vierte starb vor Jahren an Krebs), die Enkeln und Großenkeln, sich gesetzt haben. Ich wähle eine kleine Bank auf der Seite, von diesem Winkel ist nicht zu sehen, wenn der Sarg in die Feueröffnung verschwindet, der ist mir von Hanas Verabschiedung prägend in Erinnerung geblieben. Musik setzt ein: Má vlast, Bedřich Smetana; Va, pensiero, Giuseppe Verdi; Ave Maria und Dobrou noc, sladce spi, Johannes Brahms. Der schwarze Vorhang geht zu. Langsam aufstehen, eine der Damen kommt auf mich zu, schaut mich fragend an. Nenne meinen Vornamen, sie umarmt mich, es ist die jüngste Tochter, die ich zum ersten Mal sehe. Wir weinen ein Stück gemeinsam, einer dieser wortlosen Augenblicke ...

 

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