Nicht die Zeiten vergehen, wir gehen ab

Diese von innen langsam hochsteigende Angst, wenn nachts der Schlaf nicht kommen will, im Dunkeln allein auf einen Weg, gefolgt von einem Unbekannten, das Hineingeworfensein in eine Veränderung. Weglaufen oder reicht der Atem noch für einen weiteren Dauerlauf? Nicht das niemand da wäre, doch es gibt Situationen, da ist der Mensch auf sich allein gestellt. Die hochsteigende Panik versuchen durch längeres Ausatmen zu regulieren. Laut schreien wollen und stumm bleiben. Was ist an-, was abtrainiert?

Der Anruf aus dem Krankenhaus, sie solle sich zur Kontrolle einfinden, hat sie an ihre Herzschwäche erinnert, an die zu denken, sie sich mit Beschäftigungen abgelenkt hat. Es gibt vieles zu tun im Garten, im Haus gerade in Covid-19 Zeiten. Der Mann, nach seinem Lungeninfarkt, ist zurück aus dem Krankenhaus, 83. Seit dem 12. März ist das Haus, der Garten zu einer Rückzugszelle geworden. Die Kirchen geschlossen zu Ostern, der Frühling im vollen Gange. Es blüht in ihrem Garten. Sie schleppt die schweren Töpfe, die im Keller überwintert haben, hinauf. In ihrem Nachtkasten liegt das Sparbuch, mit dem ihr Begräbnis zu bezahlen ist, sie will still verabschiedet werden. Kein großes Begräbnis wie bei ihrem ersten Mann, der im 61. Lebensjahr im Badezimmer zusammengebrochen ist. Die Rettung kam, doch er verstarb nach der Einlieferung im Krankenhaus. Schlaganfall. Ihr zweiter Mann hatte kurz zuvor seine Frau an den Tod verloren. Sie hatten sich angefreundet, noch einmal verliebt. Rückwärts betrachtet, tun sich Weggabelungen auf – die im Alltag nicht sichtbar waren.

Der erste Schritt. In welche Richtung führt er, dieser ersten Entscheidung folgen weitere, daraus ergibt sich der Weg. Sie hat nach dem sie von einer dunklen Trauer überrannt worden war, nach 60, begonnen, neue Wege zu gehen. Ihre Tochter hat sich in diesem Altersabschnitt, nach 60, aus dem Leben zurückgezogen. Wendungen, warum?

Lebensläufe. Die Mutter war immer Hausfrau gewesen, dem Willen des Ehemannes folgend. Mehrere Kinder mit einem knappen Gehalt großzuziehen war ihre Lebensaufgabe, danach wollte sie reisen, unter Menschen sein. Die Tochter hat sich nie einem Ehediktat unterworfen, ein Leben lang gearbeitet für ein eigenständiges Leben, weg von Haushalt und Kindern. Bestimmt der Sog des Gegenteils das Ziel oder das Aufgehen in einem Mileu, das einem in die Wiege gelegt worden ist?  Sich selber entkommen, ein lebenslanges Wunschdenken oder damit konfrontiert, es annehmen und das letzte Stück des Weges, wer weiß schon die exakte Zeitspanne, die einem bleibt – bewusst leben..

Mit welchem Blick in das Ausklingen schauen? Versöhnt, in Frieden - oder aufbegehrend, wütend, zornig? Der Angst auf den Grund gehen, von ihr nicht in Ecken getrieben werden, wo der Zorn, der Neid, der Hochmut, der Perfektionismus sich auslebt ohne Rücksicht auf die Fähigkeit des Herzens zur mitfühlenden Teilnahme.

 

Prag, 2. Mai 2020, Milena Findeis

 

 

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